Viel Spannendes, wenig Überraschendes

Wenn sich Zwei streiten, freut sich der Dritte. Ist auch in der Motorradbranche zum Teil nicht viel anders, wo im Herbst ja gleich zwei große, international bedeutende Messen um Aufmerksamkeit beim Kunden rittern. Vielleicht, um sich nicht zwischen Intermot und EICMA entscheiden zu müssen, vielleicht aber auch, um das ungeteilte Interesse auf sich zu ziehen, lüftet manch Hersteller seine Geheimnisse mittlerweile bei eigenen Events. Wie das etwa BMW oder Ducati schon im Vorfeld der Kölner Intermot taten, um erste Blicke oder auch schon Fahrten mit der neuen R1250 GS bzw. der rundum erneuerten Scrambler-Familie zu ermöglichen. Andere Hersteller wiederum wollen nicht schon im Oktober ihr ganzes Pulver verschießen und heben sich die Highlights für Mailand Anfang November auf. Trotzdem gab es auch in Köln viel Spannendes erstmals zu sehen bzw. für die Allgemeinheit zum Anfassen, wie in meinem unterstehenden Rundgang vom Presse-Tag zusammengefasst. Wie gewohnt, keine Ansammlung an technischen Daten, die man am besten auf den Seiten der Hersteller findet, sondern einfach ein kleiner Überblick (in alphabetischer Reihenfolge). Alles aus dem subjektiven Blickwinkel des Wolfs und natürlich ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit. 

BMW • Die Welt dreht sich um die neue GS

Auch wenn sie keine Überraschung und schon gar keine Sensation mehr war: Die neue, große GS ist trotzdem so etwas wie der Star auf der Intermot. Zumindest die Welt der Bayern und ihrer riesigen Fangemeinde dreht sich in Köln um die 1250er, die nun um elf PS mehr (136) leistet und durch die variable Ventilsteuerung eine gleichmäßigere Motorcharakteristik aufweisen soll. Man darf davon ausgehen, dass die GS auch in ihrer aktuellsten Version eine ausgereifte, einfach zu fahrende Reiseenduro ist, die Dank verschiedener Ausstattungspakete alle nur denkbaren technischen Features mit an Bord haben kann, und sich wie geschnitten Brot verkaufen wird. Wobei sich Besitzer des Vorgänger-Modells erst einmal ruhig zurücklehnen und abchecken können, wieviel besser die Neue nun wirklich geworden ist. Denn äußerlich sind auf den ersten Blick Unterschiede nur für den echten Kenner auszumachen. Ebenfalls mit dem neuen Boxer versehen hat BMW den Reisedampfer R 1250 RT, auf eine R 1250 RS müssen die Fans (noch) warten. Aber die Bayern sind ja auch auf der EICMA…

Ducati • Rundum überarbeitete Scrambler-Modelle

Ducati präsentierte wie schon vor vier Jahren die ersten Scrambler erneut auf der Intermot drei rundum überarbeitete neue Modelle:

• Einen schicken Cafe Racer, der an die 125 Grand Prix Desmo aus vergangenen Tagen erinnern soll.

• Die im sportlichen Gelb/Schwarz gehaltene Full Throttle, die sich an einem Flat-Track-Racer orientiert.

• Und die mich immer noch ein wenig an die gute alte Yamaha XT500 erinnernde Desert Sled, von der ich das Vorgänger-Modell bereits zum Testen hatte und sehr angetan war. Alle drei bekamen, wie schon ein paar Wochen davor der "Standard-Scrambler" Icon jede Menge Aufwertungen im Detail, wie Kurven-ABS, LED-Schweinwerfer mit Tagfahrlicht, hydraulische Kupplung etc., punkto Leistung blieb jedoch alles beim alten. Eine Modellpflege bekam für 2019 auch die XDiavel.

Honda • Farbenspiele und zwei geile Umbauten

Honda auf der Intermot? Ist natürlich auch da. Aber sieht man vom schicken Vintage-Roller Super Cub ab, dessen Ankunft ja schon im Frühjahr avisiert worden war, wurde wenig Neues mitgebracht. Das erstmals gezeigte Konzeptbike Neo Sports Cafe könnte freilich ein Vorgeschmack auf eine neue CB650F sein – eindurchaus gelungener, wie ich meine. Die Africa Twin sowie die Africa Twin Adventure Sports sind im Modelljahr 2019 jeweils in neuen Farbgebungen erhältlich, dazu hat man zwei richtig geile Umbauten der CB1000R ausgestellt: Und zwar der von Honda Racing UK extra für das Glemseck 101 getrimte "Sprinter", mit dem niemand geringerer als Mick Doohan am "Sprint-International"-Wettbewerb teilnahm, und die vom "Roadster Magazin" veredelte Neo Daemon. Scharfe Teile! Mein Interesse galt aber auch dem Dualsportler CRF 450 L, dessen Leistungsdaten sich mit eingetragenen 25 PS zwar um einiges weniger eindrucksvoll ausmachen, aufgrund meiner guten Erfahrungen mit der "kleinen Schwester" CRF 250 Rally bin ich aber trotzdem gespannt, wie sich das Teil in der Praxis schlägt. Könnte eine gute "Alle-Tage-Enduro" vom alten Schlag sein.

Husqvarna • Vorgeschmack auf weitere Schwedenbomben

Auch Husqvarna verzichtete in Köln darauf, Neues zu zeigen – sieht man von der Enduro- bzw. MX-Modellpalette für 2019 ab, die ja schon bekannt war. Stattdessen ist ein Prototyp der Svartpilen 701 zu sehen, der einen weiteren Vorgeschmack darauf gibt, was von den schwedischen Österreichern in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Neben der gezeigten "offroadtauglicheren" Variante der erst von mir getesteten Vitpilen 701, würde es mich nicht überraschen, wenn wir bei der EICMA erstmals eine Vitpilen 1301, mit dem Motor der KTM 1290 Super Duke R, zu sehen bekommen. Die Motorenpalette in Mattighofen lässt jedenfalls Spannendes erwarten.

Indian • Die Amis befahren ganz neue Wege

Wenn ich ehrlich bin, hatte Indian bislang wenig von meiner Aufmerksamkeit auf sich ziehen können. In Köln aber landeten die Amerikaner einen Coup, präsentierten eines der interessantesten Neufahrzeuge der Messe: Die FTR 1200 bzw. die umfangreicher ausgestattete FTR 1200 S, mit denen Indian völlig neue Wege befährt, erstmals ein richtig sportliches Motorrad für die Straße bringt. Eng angelehnt an den Racer FTR 750, mit dem man seit 2017 große Erfolge in den American Flat Track Series feierte, sowie an die schon vor einem Jahr präsentierte FTR 1200 Custom Studie, ausgestattet mit Premium-Fahrwerk und Bremsen, will man künftig auf europäischen Straßen gegen Ducati Monster & Co. reüssieren. Mit 120 PS und für amerikanische Verhältnisse fast schon magersüchtigen 220 kg trocken versprechen die Amis ausgezeichnete Fahreigenschaften. Ausgestattet ist die FTR mit den Fahrmodi Standard, Sport und Rain sowie zahlreichen Fahrassistenzsystemen wie Traktions-, Wheelie und Stabilitätskontrolle, die "S" verfügt neben der besseren Fahrwerks-Komponenten auch über ein 11 Zentimeter großes Farb-Display. Spannend.

Kawasaki • Starkes für beide Enden der Fahnenstange

Für Reiseenduristen hat Kawasaki schon fast traditionell nichts Neues, trotzdem zählten die Grünen auf der Intermot zu den aktivsten Herstellern. Fürs obere Ende der Fahnenstange zog man den Carbonracer Ninja H2 mit beeindruckenden 231 PS aus dem Köcher, für den Biker-Nachwuchs gibt es zwei 125er-Modelle, nämlich die Z125  sowie die Ninja125. Technisch noch besser und wieder ein paar PS stärker wurde die Ninja ZX10R (203) bzw. ZX10RR (204), mit der Jonathan Rea gerade erst seinen vierten Superbike-WM-Titel in Folge einheimste. Zum Abschluss der Präsentation gab Kenji Nagahara, Geschäftsführer von Kawasaki Motors Europa, noch ein Versprechen ab: "Ich kann Ihnen versprechen, dass wir in den nächsten zwei Jahren weitere 10 neue Modelle auf den Markt bringen werden." Vielleicht ist dann ja auch wieder mal etwas für Abseits der Straße dabei, mit den KLE-Modellen aus meiner Jugend hätten die Japaner jedenfalls durchaus auch in dem Bereich Tradition.

KTM • Umfangreiche Modellpflege für die 1290 Super Duke GT

Wenn du im Vorfeld wichtige KTM'ler fragst, ob wir uns auf der Messe sehen und diese verneinen, ist klar: Da wird nichts Großes präsentiert. Also wird die 790 Adventure R eben der Star (bzw. einer der Stars) auf der EICMA werden, muss sich das Publikum in Köln mit einem weiteren Prototypen begnügen. Neu ist bei den Mattighofenern eine völlig überabeitete 1290 Super Duke GT, die nach drei Jahren im Programm von der Performance noch näher an die Super Duke R heranrückt, mit deren bekannt breitem Band an elektronischen Fahrassistenzsystemen ausgestattet ist, jetzt auch inklusive "Track"-Modus. Dazu hat die neue GT auch das typische "Gesicht" der Duke-Familie mit dem LED-Doppelscheinwerfer und das aus der Super Adventure bekannte 6,5-Zoll-TFT-Farbdisplay spendiert bekommen. Leistungsmäßig fehlen mit 175 lediglich zwei PS auf die 1290 Super Duke R (177), die es im Modelljahr 2019 in zwei neuen Farbvarianten geben wird. Die orange Vorfreude auf Mailand, wo neben der 790 Adventure R auch die Neuauflage der beliebten 690 Enduro- und Supermoto (mit Quickshifter) ansteht und (zumindest als Prototyp) die 390 Adventure erstmals zu sehen sein wird, ist auf der Intermot jedenfalls gestiegen. Ganz abgesehen davon, dass auch der LC8c aus der 790er nach weiteren Modellen schreit – etwa nach einer 790 Duke GT...?

Moto Guzzi • Eine erfrischend andere Reiseenduro

Als sie vor einem Jahr als Studie auf der EICMA präsentiert wurde, war nicht nur unter den Moto-Guzzi-Fans die Begeisterung groß. Jetzt gab es in Köln die Weltpremiere der nahezu ident aussehenden, serienreifen V85 TT, die im Frühjahr 2019 an den Start gehen wird. Kein Wunderding an Leistung und wohl auch nicht an Geländetauglichkeit, punktet diese erfrischend andere Mittelklasse-Reiseenduro mit einem unverwechselbaren Aussehen und vielen schicken Details, 19-Zoll-Vorderrad und Kreuzspeichenrädern. Der 853-Kubik-Zweizylinder auf Basis des Motors im Custom Bike V9 wurde von 55 auf rund 80 PS aufgemöbelt – genug, um entspannt zu reisen. Zu haben ist sie auch in einem unauffälligen Grau, die von der Studie übernommene Gelb-Weiß-Schwarze Lackierung steht der V85 in meinen Augen aber besonders gut. Ich bin jedenfalls schon gespannt, ob es die Moto Guzzi V85 TT vielleicht 2019 für den Wolf zum Testen gibt.

Suzuki • Die Wiedergeburt der Katana

Dass die V-Strom 1000 in einer neuen Farbe angeboten wird, wurde selbst von Reiseenduro-Freaks wie mir nur am Rande registriert. Denn Suzuki hat auf der Intermot mit der Katana einen Klassiker auferstehen lassen und damit wohl das Überraschungs-Highlight der Messe geliefert. Ein Motorrad, das schon 1980, als es zum ersten Mal präsentiert wurde, die Lager spaltete – die einen liebten sie, die anderen empfanden sie als hässlich. Aber kalt ließ sie (fast) keinen. Ähnlich verhält es sich jetzt bei der Neuauflage GSX1100S Katana, die mit dem 150 PS starken Motor aus der GSX-R1000 ausgestattet ist. Das rote Langschwert-Logo am Tank, die scharfen Linien, der kantige Scheinwerfer, die zweifarbige Sitzbank, der kurze, schwarze Auspuff – all das lässt das neu geschmiedete Schwert würdig erscheinen, das Erbe anzutreten. Ja selbst das Profil der aufgezogenen Dunlop Sportmax Roadsport 2 erinnert ein wenig an gekreuzte Klingen…

Triumph • Mehr Saft für Street Twin und Street Scrambler

Viel los war wie immer bei Triumph – die Marke erfreut sich in Deutschland einer großen Beliebtheit und vor allem der größten Kundenzufriedenheit im Konzern, wie Natalie Kavafyan, General Manager von Triumph Deutschland & Österreich, nicht ohne Stolz preisgab. Laut wurde es in der Halle 9, als die neue Moto2-Maschine, mit der Triumph in der kommenden Saison Honda in der wichtigen MotoGP-Nachwuchsklasse ablösen wird, mit bollerndem Motor auf die Bühne fuhr. Nicht weniger Aufsehen erregte die auf Basis einer Thruxton R zusammen mit Mellow Motorcycles auf die Speichenräder gestellte Phantom Blaze. Aber auch neue bzw. grundlegend überarbeitete Modelle für jedermann haben die Briten nach Köln gebracht: Sowohl der Retro-Bike-Bestseller Street Twin, als auch die Street Scrambler legten gegenüber dem Vorgänger um 10 PS (jetzt 65) zu, verfügen über neue Fahrmodi und können dank jeder Menge Anbauteilen im Zubehör individualisiert werden. Ende Oktober kommt dann die mit Spannung erwartete 1200er Scrambler, die richtig geländegängig sein soll und auch auf der EICMA stehen wird.

Yamaha • Das Warten muss bald eine Ende haben

Nach der 900er wird 2019 auch die Yamaha Tracer 700 in einer GT-Variante mit größerem Windschild und Seitenkoffern ausgestattet anrollen, die MT-Reihe will nächste Saison mit neuer Lackierung und auch neuen Anbauteilen beim Kunden punkten. Und auch die YZF-R125 bekam eine Runderneuerung. Aaaaaber...

...auf die Tenere 700 World Raid, über die uns Yamaha seit Monaten mit Video-Happen füttert und die schon vor zwei Jahren erstmals in Mailand als Prototyp gezeigt wurde, müssen wir weiter warten. Das Positive an der Sache: Ein Ende ist in Sicht, sollte sie nicht fixfertig in Mailand stehen und 2019 zur Auslieferung bereit sein, hätten Yamahas Marketing-Abteilung alles falsch gemacht und das wollen wir ja mal nicht annehmen.

Außerdem ist das Flugticket für 6. November nach Mailand längst gebucht.



Natürlich kann man sich an einem Messetag nicht mehr als einen groben Überblick verschaffen und nicht alles sehen. Vor allem, wenn man fast stündlich bei einer Pressekonferenz sein muss. Dazwischen gab's Kaffee (und später Bier) bei Triumph, Brötchen bei Kawasaki, Orangensaft bei BMW, den einen oder anderen netten Plausch mit Kollegen, Leuten aus der Branche, aber auch "Fans" bzw. treuen Sehern meiner Videos, die kennenzulernen mich ganz besonders freute. Am Schluss hatte ich laut schlauer iPhone-App weit über 20.000 Schritte zurück gelegt und einen dick geschwollenen, schmerzenden Haxn. Schließlich ist so ein Messetag schon ohne gerade überstandenem Schienbeinbruch anstrengend genug. Weshalb ich dann im Nachtzug zurück nach Wien auch nicht wie geplant durchhackelte, sondern relativ früh das Bett meiner Einzelkabine frequentierte. 


© 10/2018