Auf einen einfachen Nenner gebracht, sind Reiseenduros Motorräder, die einen ans Ziel bringen, wo immer das auch liegen mag. Von Hardcore-Enduros unterscheiden sie sich durch eine größere Reisetauglichkeit, bequemere Sitzbank, größeren Tank (und damit Reichweite) aber auch höheres Gewicht, vom Tourer durch ihre Geländetauglichkeit, die natürlich je nach Größe und Gewicht variiert. So gesehen ist eine Reiseenduro immer auch ein Kompromiss zwischen Langstrecken- und Geländetauglichkeit. Klassische Vertreter sind z. B. Hondas Africa Twin oder Yamahas Super Tenere 750 – robuste, auch fern der Heimat bzw. Werkstatt leicht zu wartende Maschinen, die zwar streng genommen auch ziemliche "Schwergewichte" waren, aber das Verlangen weckten, einfach aufzusteigen und um die Welt zu fahren. Noch heute ist manch Weltenbummler auf solchen Motorrädern unterwegs, weil er für sich am aktuellen Markt nicht das passende Gefährt findet.
Für mich persönlich sind die beliebten großen Reiseenduros wie eine BMW 1200 GS, KTMs 1190 Adventure bzw. die neue 1290 Super Adventure, Yamahas Super Tenere 1200, Hondas Crosstourer, Triumphs Tiger Explorer, Kawasakis Versys 1000, Ducatis Multistrada, Aprilias Caponord oder Suzukis neue V-Strom 1000 schon eher bequeme, tolle, mit modernster Technik und Sicherheitsfeatures vollgestopfte Tourenmaschinen mit der – mehr oder weniger ausgeprägten – Zusatzoption, auch mal auf Abwegen ans Ziel zu kommen. Wirklich ernsthaft ins Gelände können damit freilich nur sehr gute Fahrer. Grundvoraussetzung dafür sind meines Erachtens Speichenfelgen und ein 21-Zoll-Vorderrad, weshalb für einen großen Teil der großen Reiseenduros am Ende der Schotterstraße bzw. des Feldweges die Reise ungemütlich werden kann.
Mit der F 800 GS brachte BMW 2008 eine Reiseenduro auf den Markt, die die Gene einer African Twin am ehesten in sich trägt, diese aber punkto Fahreigenschaften am aktuellen Stand der Technik naturgemäß in den Schatten stellt, Triumph zog 2011 mit der Tiger 800 XC nach – beides Motorräder mit knapp unter 100 PS und knapp über 200 Kilogramm: Stark genug für die Langstreckenetappe (auch zu zweit) und doch meist ausreichend geländegängig, wenn die Straße einmal ausgehen sollte. In diese Kategorie passt auch die neue Africa Twin CRF 1000L. Zwar konnte auch die Honda jene von ihrer großen Fangemeinde nach der ersten Präsentation als "True Adventure" euphorisch erhofften Eckdaten von +100 PS und vollgetankt -200 kg nicht erfüllen, die Japaner haben mit der Neuauflage des Klassikers aber definitiv eine solide Reiseenduro auf die Speichenräder gestellt, die auch jenseits befestigter Wege nicht halt machen muss, wie ich mich im Frühjahr 2016 bei ausgiebigen Testfahrten durch fünf Länder überzeugen konnte.
Ähnliches gilt auch für die nicht mehr gebauten KTM-Adventure-Modelle 990/950, zumal man es in Mattighofen schon immer hervorragend verstanden hat, einem Motorrad gute Offroadeigenschaften zu implementieren. Was den Österreichern bei der 1190 Adventure R ebenfalls wieder ganz ausgezeichnet gelungen ist, obwohl deren 150 PS abseits befestigter Wege natürlich nicht annähernd gebraucht werden. Da reichen die 95 Pferde in der kleinen Schwester 1050 Adventure allemal, wenngleich sie dieser in Mattighofen lediglich ein 19-Zoll-Vorderrad samt Gussfelgen verpasst haben, weshalb bei ihr trotz durchaus guter Offroad-Fahreigenschaften schon früher Ende Gelände ist. Keinesfalls fehlen darf in dieser Aufzählung auch die fesche Yamaha XT 660 Ténéré, die an Robustheit kaum zu übertreffen ist, für meinen Geschmack aber im Verhältnis zur Leistung von 48 PS doch ein paar Pfunde zuviel an den Hüften mitschleppt – selbst wenn man ihr die vollgetankt +200 kg gar nicht ansehen mag. Wer auf Leistung im Überfluss verzichten kann, findet mit dem Einzylinder aus dem Hause Yamaha aber einen wirklich verlässlichen Reisebegleiter. Auch die kleine V-Strom 650 von Suzuki bekommt den Spagat zwischen Asphalt und Schotter besser hin, als man es ihr auf den ersten Blick zutrauen würde, wenngleich ihre Stärken (schon wegen der 19-Zoll-Gussfelge am Vorderrad) doch eindeutig auf der Straße liegen.
Wer es leichter haben mag und trotzdem einigermaßen komfortabel reisen möchte, wird von der Stange eventuell noch bei BMW mit der 650 Sertao, Nachfolgerin der 650 Dakar, fündig. Oder benötigt etwas Einfallsreichtum. Etwa, indem man sich in Ermangelung einer 690 Adventure eine 690 Enduro aus dem Hause KTM, mit knapp 70 PS und 140 kg in meinen Augen DAS Gefährt für die Offroadreise schlechthin, tourentauglich macht - das beginnt mit einem simplen Windschild plus einem ans Gepäck geschnallten Reservebenzinkanister und endet bei professionellen Rally-Umbauten, etwa von KTM Basel oder Rally-Raid, mit denen man dann um die 30 Liter Sprit mitführen kann. Dazwischen sind, je nach persönlichen Ansprüchen, dem Einfallsreichtum keine Grenzen gesetzt.
Bei Weltenbummlern beliebt ist auch die (nicht mehr gebaute) BMW XChallenge 650, für die man etwa bei Touratech passende Umbau-Kits für die Fernreise findet, viele sind auch mit persönlich reisefit gemachten Honda Transalps bzw. Dominator, meist älteren Baujahres, unterwegs – sind die doch immer noch Synonyme für Unverwüstlichkeit und im Fall der Fälle weit einfacher bzw. überall zu reparieren – und obendrein leichter als etwa eine Africa Twin. Selbiges gilt auch für die DRZ-Modelle von Suzuki (400 - 650 ccm). Wer nicht so einfach knapp 30.000 Euro für eine KTM 450 Rally locker machen kann, aber trotzdem sportlich auf langen Etappen durchs Gelände unterwegs sein will, findet Umbausätze für eine Yamaha WR450 oder die (nicht mehr gebaute) BMW X 450, um diese für weitere Strecken fit zu machen.
Die Marktlücke des leichten, geländetauglichen Fernreise-Adventurebikes zu füllen, hat sich jetzt auch die kleine britische Motorradschmiede CCM, die bislang vorrangig für den (Offroad)-Wettbewerb Motorräder mit zugekauften Motoren produzierte, zum Ziel gesetzt. Herausgekommen ist die im Spätherbst 2013 erstmals präsentierte und Ende 2014 nun auch in die Serienproduktion gegangene GP 450 Adventure – die Eckdaten klingen mit 40 PS und 130 kg fahrfertig jetzt zwar nicht überwältigend, das gesamte Paket ist aber sehr durchdacht und interessant. Ende Mai 2014 konnte ich ein Vorserienmodell in England ausgiebig bewegen und muss sagen, dass die Briten mit dem Motorrad wirklich genau das treffen könnten, was viele vermisst haben. Weshalb ich seit Dezember 2014 auch selbst eine in der Garage stehen habe…
Prinzipiell gilt wohl: Man kann mit jedem Motorrad um die Welt reisen, die Streckenwahl gestaltet aber nicht zuletzt auch das jeweilige Gefährt entscheidend mit – mit einer Reiseenduro ist man diesebezüglich eben auf der sichereren Seite. Angeboten wird wirklich fast für jeden etwas, am Wichtigsten ist meiner Meinung nach freilich immer noch, dass es dem Fahrer Spaß macht und er damit umzugehen weiß.
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Reisen ist tödlich
für Vorurteile.
Mark Twain
Unter Motorradfahrern gibt es keine Fremden - nur Freunde, die man noch nicht getroffen hat.
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