KTM Freeride E-SX • Modelljahr 2015

Fahrspaß ab Standgas

Das E-Bike meiner Mutter ist ja jetzt nicht wirklich der Inbegriff an Sportlichkeit. Vielleicht hatten es auch deshalb elektrisch angetriebene Motorräder lange nicht geschafft, meine Aufmerksamkeit zu wecken. Bis KTM Ende 2014 mit der Freeride E eine serienreife Elektro-Enduro auf den Markt brachte. Und wenn sich die Jungs aus Mattighofen, die es mit dem "Ready to Race" im Label recht ernst nehmen, da drüber trauen, dann ist das schon Mal einen genauen Blick wert. Streng genommen sind es ja drei Modelle, basierend auf den beliebten Freeride-Modellen der Österreicher: Eine "Race"-Version (SX) für abgesperrte Strecken und zwei straßenzugelassene Varianten (XC und SM), die sich in erster Linie durch ihre Bereifung für Offroad- bzw. Straßeneinsatz unterscheiden. Ich konnte die SX ausgiebig bewegen, meine Schlüsse daraus lassen sich aber auch auf die beiden anderen Modelle übertragen, die ja lediglich durch straßenverkehrstaugliche Features wie Licht oder Blinker (bzw. bei der SM auch niedrigere Sitzhöhe) auseinander zu halten sind.

Schon wenn man vor oder neben der Freeride E steht, werden die Unterschiede zu "normalen" Motorrädern deutlich: Neben den Fußrasten ist nichts, weder Schalthebel noch Bremspedal. Geschalten werden muss auch nicht, die Freeride hat nur einen Gang und permanent 42 Newtonmeter an Drehmoment zur Verfügung. Gebremst wird ausschließlich über die Hebeln am Lenker: Rechts wie gewohnt das Vorderrrad, links – wo sonst die Kupplung betätigt wird – das Hinterrad.

Zum Starten muss zunächst das System hochgefahren, dann der Startknopf gedrückt werden. Je nach gewähltem Modus fährt das Motorrad dann unterschiedlich zügig los, wenn man am Gashahn dreht. Auf Stufe 1 "Economy" geht das Ganze noch recht gemächlich von statten, bei Stufe 2 "Standard" schon etwas flotter und auf Stufe 3 "Advanced" reisst die Fuhre dann schon richtig an – Flurschäden nicht auszuschließen!

Ich fuhr sie nach ersten Versuchen praktisch ausschließlich im Advanced-Modus, die 42 Nm, die da ab Standgas zur Verfügung stehen, sind vergleichbar mit Drehmoment und Antrieb einer 250ccm-Crossmaschine. Wobei die E viel einfacher zu fahren ist, speziell wenn das Gelände anspruchsvoller wird. Der Grund liegt auf der (Gas)-Hand: Der Fahrer kann sich ausschließlich aufs Gas geben und Bremsen konzentrieren, ein Abwürgen des Motors ist unmöglich, auch nicht im Stillstand. Dies kommt ungeübten Fahrern entgegen, ohne Geübte um ihren Spaß zu bringen. Die Freeride steuert wie von selbst auf jedes nur erdenkliche Hindernis zu – ob Böschungen, Felsstufen, ausgewaschene Wege, losen Schotter oder Bachbette: Spielerisch nimmt sie jede "Herausforderung". An die Handhabung der Bremshebeln bzw. der Hinterradbremse mit der linken Hand habe ich mich rasch gewöhnt, speziell beim Stehendfahren ist es kein Nachteil, wenn die Stiefel in jeder Situation den besten Stand auf den Rasten haben. Diese sind ganz KTM-typisch hervorragend, so wie auch die gesamte Ergometrie des Motorrads.

Die Federelemente (vorne 250 Millimeter, hinten 260) sind aus den herkömmlich angetriebenen Schwestern-Modellen Freeride 250 sowie Freeride 350 bekannt bzw. vom KTM-eigenen Fahrwerk-Spezialisten WP Performance Systems, auch der Stahl-Aluminium-Verbundrahmen und die meisten Plastikteile stammen aus demselben, Kosten sparenden Baukastensystem. Der augenscheinlichste Unterschied zu den beiden Benzinern ist aber nicht zu sehen, sondern zu hören – bzw. eben fast nicht: Beinahe geräuschlos ist man mit der E unterwegs, was speziell Offroad einer neuen Qualität des Fahrens gleichkommt.

Jeder Endurowanderer ist schon Fußgängern begegnet, die ihm aufgrund des hohen Lärmpegels seines Motorrades mit Aggressionen entgegen traten – das nahezu geräuschlose und emissionsfreie Elektrofahrzeug dagegen sorgte bei allen Spaziergängern, die ich unterwegs durch den Nationalpark Neusiedlersee getroffen habe, durchwegs für freundliche Gesichter und neugierige Blicke. Das Triebwerk ist Flüssigkeitsgekühlt, der Antrieb erfolgt traditionell über eine Kette. Je nach Geländebeschaffenheit bzw. Fahrweise ist man mit einer vollen 2,6-kWh-Lithium-Ionen-Batterie zwischen einer Dreiviertel- und eineinhalb Stunden unterwegs. Meine ursprüngliche Vermutung bzw. Hoffnung, einen Ersatz-Akku im Rucksack mitführen zu können, erwies sich freilich als blauäugig bzw. (noch) nicht realistisch: Dazu ist dieser zu schwer und sperrig. Gewechselt ist der Akku allerdings im Handumdrehen, vollständig aufgeladen in weniger als eineinhalb Stunden, wobei schon nach ca. 50 Minuten 80 Prozent der Kapazität erreicht sind.

Der Akku - schaut schwer aus, ist es auch. Zwar einfach und rasch zu wechseln, an die Mitnahme eines zweiten ist aber nicht zu denken. Und in der Praxis hat man nicht immer einen Servicemann wie Mike dabei:

Die Sitzbank ist hart wie ein Brettl bzw. wie auf einer Hardenduro, allerdings will die Freeride trotz des an sich recht angenehmen Kniewinkels sowieso am liebsten  im Stehen gefahren werden. Der von KTM gemeinsam mit Maxxis entwickelte, serienmäßig aufgezogene Trailmax unterscheidet sich von normalen Trailreifen durch die längeren bzw. in größerem Abstand angeordneten Stollen und bietet praktisch auf jedem Untergrund ausreichend Grip. Der Preis der Freeride E-SX ist mit 11.098,00 Euro (bzw. € 11.398,00 für die E-XC) in Österreich nicht gerade ein Schnäppchen (ein extra Power-Pack zum Wechseln schlägt sich mit € 3.303,00 zu Buche), dafür bekommt man aber ein innovatives Spaßgerät plus der Überzeugung, etwas für die Umwelt bzw. Zukunft von Elektro-Fahrzeugen getan zu haben.

Fazit:

Fahrspaß ab Standgas. Ich glaube, ich habe das schon früher einmal in einem Testbericht so geschrieben – bei der Freeride E, die KTM zu einem Pionier im Elektrofahrzeugbereich macht, bekommt diese Aussage aber eine völlig neue Dimension. Denn das Motorrad hat wirklich ab 0 km/h sein sattes Drehmoment von 42 Nm zur Verfügung, was es speziell im Gelände einfach wie ein Mountainbike manövrieren lässt. Der Antrieb ist immer perfekt dosierbar, dabei überraschend giftig und so leise, dass man damit auch im Garten spielen kann, ohne den Nachbarn zu stören. Es ist – um zum Haken, den dieses System (noch) hat, zu kommen – freilich auch ratsam nicht allzuweit von zu Hause respektive der nächstgelegenen Steckdose wegzufahren: Denn die Reichweite bzw. Akkulaufzeit ist recht überschaubar. Womit die Freeride E derzeit noch kein Gerät für die Tour ist, sondern eher Käufer anspricht, die ihre Spielwiese nahe den eigenen vier Wänden haben und sich gerne mal rasch für eine knappe Stunde austoben wollen, als City-Flitzer ins nicht zu weit entfernte Büro (dann am ehesten die Freeride E-SM) oder auch hinten ans bzw. ins Wohnmobil gepackt, um rund um den Campingplatz Erkundungsfahrten zu starten. Dies alles so leise, dass man selbst Rehe kaum verschreckt und einen Wanderer in Zeiten wie diesen, in denen immer mehr gegen laute Motorradfahrer auf unbefestigten Wegen mobil gemacht wird, nicht als Störenfried wahrnehmen. Weshalb ich die Entwicklung weiter genau im Auge behalten werde: Spätestens, wenn die Reichweite für eine Ligurische Grenzkammstraße langt oder Akkus im Rucksack mitgeführt werden können, ohne dass man mit Vornamen Hercules heißt, hat diese Freeride E Chancen, auch einen Platz in meiner Garage zu finden.

© 04/2015