Ducati Hyperstrada • Modelljahr 2013


Fernrasen mit Stil

Haben Tourenmotorräder grundsätzlich Abstriche punkto Sportlichkeit zu machen bzw. groß, schwer und unhandlich zu sein? Ducati beantwortet diese Frage seit 2013 mit einem klaren Nein bzw. der Hyperstrada – und dafür mussten die Italiener nicht einmal ein neues Motorrad bauen. Wie schon KTM mit der beliebten aber leider aktuell aus dem Programm genommenen SMT, die auf der 990 SM R basiert, bedient man sich in Bologna einfach der hausheigenen, in dieser Saison völlig überarbeiteten Hypermotard, spendiert ihr einen höheren Lenker, ein Touring-Windschild, eine komfortablere Sitzbank, einen Hauptständer sowie ein Gepäcksystem und zwei 12V-Steckdosen – und fertig ist der Reise-Rase-Hobel.

Ich konnte die neue Diva acht Tage lang ausführlich bewegen und fühlte mich dabei eigentlich vom ersten Aufsteigen an pudelwohl. Wozu schon die Musik des Motors beiträgt. Oder besser: Des Testastretta – wie das schon klingt, nur Italiener geben ihren Motoren solche Namen! Bereits vom Anstarten weg bollert das 110 PS starke Triebwerk unverwechselbar ducati-mäßig vor sich hin.

Unter 3000 Touren gibt er sich zwar ein wenig brustschwach, darüber aber treibt er das vollgetankt knapp 200 kg schwere Motorrad so richtig zügig voran, so dass kein Wunsch offen bleibt. Vorausgesetzt, man hat nicht Überland unbeabsichtigt den Fahrmodus "Urban" aktiviert, der zwar im Stadtverkehr wirklich Sinn macht, bei dem die Leistung bei sanfterer Gasannahme aber auf ca. 70 PS reduziert ist. Im "Touring"- sowie im "Sport"-Modus sind jeweils die vollen 110 Pferde verfügbar, der Unterschied liegt vor allem in der Einstellung der Traktionskontrolle bzw. im ABS, welche im Sportbetrieb spürbar zurückhaltender eingreifen – für das Kind in mir natürlich ein regelrechter Ansporn, im Sportbetrieb die Warnleuchte des rutschenden Hinterrades im Kurvenausgang regelmäßig zum Blinken zu bringen. Ob man diese "Mappings" benötigt, bleibt jedem selbst überlassen, auf jeden Fall merkt man den Unterschied beim Fahren deutlich, kann man also je nach Lust und Laune per Knopfdruck die Fahreigenschaften der Hyperstrada beeinflussen…

Ein Motorrad zum Cruisen ist die fesche Italienerin meiner Meinung nach definitiv nicht, obwohl sie das natürlich auch könnte – die supermoto-mäßige Sitzhaltung direkt über dem Vorderrad animiert jedoch zu einer sportlich-aktiven Fahrweise. Je kurviger das Geläuf wird, desto wohler fühlt sich die Hyperstrada, auch wirklich enge Radien bereiten ihrer keinerlei Probleme, ganz im Gegenteil. Der Federweg vorne ist gegenüber der Hypermotard (170 mm) um 20 mm auf 150 reduziert, das in Druck- und Zugstufe voll einstellbare Federbein von Sachs mit einem hydraulischen Remote-Regulierungssystem versehen. Dennoch ist das Fahrwerk weit weg davon, "bequem" zu sein, aber das will eine Ducati ja auch gar nicht. Du spürst die Straße und deren Tücken, meine obligate Fahrt über das Kopfsteinpflaster der Wiener Höhenstraße wurde doch eine recht holprige Angelegenheit. 

Der ab Werk aufgezogene Scorpion Trail von Pirelli vermittelt jederzeit ein sicheres Gefühl – Schräglagen bis an die Rasten sind kein Problem – und verliert seine Souveränität auch nicht, wenn es einmal über einen Feldweg oder eine Schotterstraße gehen muss. Über die Regenperformance des Reifens kann ich freilich nichts sagen, da mir der Wettergott in der Woche, in der ich mit der Ducati unterwegs gewesen bin, "leider" jeglichen Niederschlag vorenthielt…


Der Windschutz ist bis ca. 130 km/h okay, auf längeren Autobahnetappen geht's dann aber schon in Richtung Naked Bike – wobei ein größeres Windschild den eleganten Auftritt, zu dem auch liebevolle Details wie die in die Handprotektoren integrierten Blinker beitragen, zerstören würde. Als angenehm empfand ich den Kniewinkel, auch die Sitzhöhe von 850mm (auf 830 reduzierbar) ist selbst für durchschnittlich große Fahrer nicht zu hoch, da die bequeme, absolut langstreckentaugliche Sitzbank relativ schmal baut. Höchstgeschwindigkeiten von an die 220 km/h sind jedenfalls möglich, damit es bei Bedarf auch rasch in die andere Richtung geht, ist vorne eine Brembo-Anlage mit zwei 320-Millimeter-Bremsscheiben und hinten eine 245mm-Scheibe montiert – die packen wirklich ordentlich zu! Das ABS von Bosch ist komplett abschalt- oder wie schon erwähnt durch die verschieden Fahrmodi auch mehrstufig einstellbar.

Genehmigt hat sich die Hyperstrada im Test 5,4 Liter Super auf 100 Kilometer, was in Verbindung mit dem 16-Liter-Tank recht ordentliche Reichweiten von an die 300 km errechnen lässt, wobei dies nie ausgereizt wurde, da die Reserveleuchte schon immer recht früh, meist nach nur rund 200 Kilometern anging. Schade, dass Ducati auf eine Benzinanzeige, die speziell auf Reisemotorrädern immer Sinn macht, verzichtet. Auch der schmale Balken des Drehzahlmessers könnte besser ablesbar sein, ansonsten ist am digitalen Display alles abruf- bzw. einstellbar, was man wissen will bzw. der Markt für ein Motorrad dieser Preisklasse vorschreibt. 

"Gleich vorweg: Müsste ich nur das Aussehen der Ducati Hyperstrada bewerten, wären ihr fünf Wölfe von mir sicher – ich mag die stylischen italienischen Motorräder, auch wenn ich sonst eigentlich eher Fan von KTM oder Triumph bin. So gibt's aber nur zwei. Die Hyperstrada ist sicher nichts für Schwergewichte hinten drauf, mir gefiel aber, dass man damit auch zu zweit richtig sportlich unterwegs sein kann. Der Sitzkomfort ist okay, ebenso der Kniewinkel, zumindest wenn man eher klein ist. Zu lang sollten die Etappen aber nicht ausfallen – man fährt einfach aktiver mit als auf einer bequemeren Reiseenduro, wird dadurch früher müde."


Fazit: Mit der Hyperstrada hat Ducati dem Reiseflaggschiff Multistrada eine kleine Schwester zur Seite gestellt, die den Fahrspaß nie zu kurz kommen und dennoch ordentliche Tourentauglichkeit mitfahren lässt. Das Gepäcksystem mit den beiden serienmäßigen Seitentaschen (50 Liter) ist noch durch ein Topcase aus dem Zubehörprogramm zu erweitern, womit auch Reisen über die Wochenendtour hinaus nichts im Wege steht, wenn auch längere Autobahnetappen nicht das Ding dieses Motorrads sind. Sollte es aber in die Alpen gehen und man dabei hauptsächlich auf asphaltierten Strecken bleiben, hätte ich sie wirklich gerne einmal dabei. Vorausgesetzt es ist genug Zeit im Reisegepäck, um oben am Berg auf die anderen zu warten...

© 08/2013