Eigentlich hatte ich mir ja nach der Knochenbrechertour in der Mongolei fest vorgenommen, nie wieder im Spital an einem Reisebericht zu schreiben. Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt…
…doch der Reihe nach. Noch rasch vor der für einen Sportjournalisten natürlich recht arbeitsintensiven Fußball-WM 2018 eine Woche Urlaub genommen, der "Plan" klang auch richtig gut: Erst ein paar Tage mit meinem alten Kumpel Klaus und den leichten Mopeds irgendwohin Schottern (zur Wahl standen die Ukraine, Polen/Slowakei oder Slowenien/Kroatien) und dann noch ein paar Tage zusammen mit Sozia nach Prag oder in die Südsteiermark – je nach Wetterlage. Ihr seht, mit dem Planen habe ich es nicht sooo genau genommen und es einfach auf mich zukommen lassen, die Richtungs-Entscheidungen fielen am Frühstückstisch immer mit einem Blick auf die Wetterkarte, um etwaigen Regenfronten auszuweichen. Weshalb es dann auch kein, welch gerade schmerzendes Wortspiel, "Beinbruch" gewesen ist, als Klaus kurzfristig absagte, weil seine KTM 690 Enduro aus den Stoßdämpfern saftelte. Machte ich mich eben allein mit meiner im Winter modifizierten CCM GP 450 Rally auf den Weg.
Wobei FAHREN für mich an allererster Stelle stand, am besten ohne Pausen, am liebsten auf unbefestigten Wegen, die mitgenommene Drohne nicht ein einziges Mal ausgepackt wurde. Und auch das Stativ, das bei meinen Motorrad-Testvideos längst ein unabdingbarer Begleiter ist, kam nur einmal kurz zum Einsatz, damit ich es nicht völlig umsonst jeden Tag auf die Gepäckrolle geschnallt hatte. Alles in allem also eine Tour zum Akkus aufladen vor einer beruflich stressigen Zeit, was viereinhalb Tage lang auch perfekt funktionierte…
Übersichtskarte
Als erstes Tagesziel hatte ich kurzfristig Poprad in der Hohen Tatra auserkoren, um Marian von Touratech Slovakia einen Besuch abzustatten. Vielleicht hätte der ja für die darauffolgenden Tage den einen oder anderen Tipp für mich parat. Ohne einen einzigen Autobahnkilometer ging es zunächst an Bratislava vorbei bis zur Burg Bzovik. Gefahren bin ich, wie ich das auch daheim sehr gern tue: Das Tagesziel im Navi eingegeben, bog ich jedesmal ab, wenn irgendwo ein vielversprechender Feld- oder Schotterweg auftauchte und ließ mir die weitere Route neu berechnen – manch einer führte mich an eine Straße, das eine oder andere Mal musste ich auch wieder umdrehen, weil sich der Pfad im Nichts verlief. Weshalb meine vielen Abstecher bzw. "Verfahrer" in der oben zum Download bereitstehenden (nachgeplanten) gpx-Datei auch nicht berücksichtigt sind, die Route lediglich Anhaltspunkt sein kann. Auch weil nicht alles erlaubt gewesen ist, mich meine Erfahrung aber lehrte, dass dies allein (auch mit der Ausrede "das Navi hat mich hierher geführt") viel eher akzeptiert wird, als wenn eine Gruppe an Motorrädern wo durchrauscht.
Marians Infos beim spätnachmittägigen Kaffeestopp bekräftigten mich in meinen Beobachtungen, dass es die slowakischen Gesetzgeber mit Fahrverboten auf unbefestigten Wegen längst zumindest genauso ernst nehmen, wie ihre österreichischen Kollegen. Für eine tolle Straßentour hat die Hohe Tatra kurven- und landschaftstechnisch freilich einiges zu bieten, aber dann hätte ich auch gleich mit Tiger und Sozia hinten drauf anreisen können (was übrigens auch auf die To-do-Liste geschrieben wurde). Also war mir rasch klar, dass es am nächsten Tag nach Polen weitergehen werde. Auch dort ist in den touristischen Regionen in der Tatra Fahren im Wald längst tabu und strafbar, je weiter es in den Osten in Richtung ukrainischer Grenze geht, desto mehr naturbelassene Strecken finden sich aber noch, die frei befahrbar sind oder zumindest kein Hahn danach kräht, wenn man sich auf Waldwegen herumtreibt.
Genächtigt habe ich auf Marians Tipp in der Pension Fortuna in der historischen Altstadt um 41 Euro inklusive Frühstück. Eine absolut empfehlenswerte, schöne Unterkunft – so wie das dazugehörende Restaurant im Haupthaus vis-a-vis (Boutique-Hotel Fortuna), laut Marian das beste in Poprad, freilich auch zu recht "westlichen" Preisen.
Übersichtskarte
Mein Weg Richtung Polen führte mich zunächst an der mächtigen Zipser Burg bei Spišské Podhradie vorbei. Vom Ort führt nur ein (langer) Fußweg zur riesigen Befestigungsanlage, von der anderen Seite aber kann man praktisch bis zur Burg hinauffahren. Und dazwischen hatte ich rasch auch eine wohl nicht ganz legale "Schotter-Variante" gefunden, zumindest der auf mein Grüßen zurück winkende Traktorfahrer aber hatte nichts gegen meinen kleinen Abstecher einzuwenden gehabt – fürs Wochenende bzw. die Hochsaison ist der Weg aber wahrscheinlich doch eher weniger zu empfehlen…
Zipser Burg (Spišský hrad):
Unterwegs im Nordosten der Slowakei:
Ansonsten war die Strecke wirklich gut gewählt, praktisch ohne Verkehr ging es auf kleinen, schmalen, aber kurvenreichen Straßen Richtung Polen. Bald nach der Grenze empfangen einen "Warnschilder" von Wölfen und Bären, die im Nationalpark Magura (Magurski Park Narodowy) in den niederen Beskiden weit verbreitet sind. Gesehen habe ich keine, auch wenn ich der Verlockung nicht widerstehen konnte und mir die Zeit auf den zahlreichen unbefestigten Wegen in den umliegenden Wäldern vertrieb. Alles übrigens ohne an einem einzigen Fahrverbotsschild vorbeigefahren zu sein. Das weitläufige Geflecht an Naturstraßen führte mich auch immer wieder zu kleinen Siedlungen in bewaldetem Gebiet, durch (meist befestigte) Furten und über Schotter unterschiedlichster Größe, meist alles recht einfach und auch mit großen Reiseenduros zu fahren. Hätte ich nicht als ungefähres Tagesziel den von Marian empfohlenen Solina-Stausee auserkoren gehabt, wäre ich wohl noch länger in dieser Ecke geblieben.
Unterwegs in Polen (in bzw. rund um den Nationalpark Magura):
Das Karpaten-Vorland bzw. die Beskiden haben sowohl für reine Straßenfahrer als auch für Liebhaber naturbelassener Wege einiges zu bieten, zumindest in der Vorsaison vor allem auch wunderbar leere Straßen. Und von der Gegend rund um den Solina-Stausee hatte mir Marian nicht zuviel versprochen – dort gibt es ein weit verzweigtes Netz an unbefestigten Wegen durch die Wälder, zum Teil sind sie als Radwege tituliert, es stößt sich aber niemand daran, wenn man sie mit dem Motorrad befährt. Zwischendurch wurde es im Wald ziemlich tief und tricky, weshalb ich froh gewesen bin, die leichte CCM gewählt zu haben.
Unterwegs in Polen (Richtung bzw. rund um den Salina-Stausee):
Quartier fand ich schließlich in Polańczyk im Hotel Lakeside um 40 Euro inkl. Frühstück im Einzelzimmer direkt am See. Das Haus versprüht zwar von außen, in der Lobby und den Gängen alten Ostblock-Flair, die Zimmer sind aber alle komplett neu renoviert und modern ausgestattet. Und das sensationelle Frühstücks-Buffet spielte sowieso alle Stückerl. Zum nächsten Restaurant muss man ein Stück den See entlang spazieren, die freundlichen Jungs an der Rezeption bieten jedoch auch ein Gratis-Shuttle-Service an sowie einen 10 Prozent Rabatt im Lokal ihrer Wahl…
Die Gegend um den Solina-Stausee bzw. den Bieszczady-Nationalpark hätte absolut genug unbefestigte Strecken für ein paar weitere Tage zum Erkunden geboten – trotzdem zog ich es am nächsten Morgen vor, weiter in Richtung Nordosten bzw. Ukraine zu fahren. Zum einen sollte ich so die für Nachmittag angesagten, heftigen Gewitter abschütteln können, zum anderen wollte ich die Gelegenheit nützen, und mir ein Stück vom TET Polen anzusehen. Das ehrgeizige TET-Projekt (Trans Euro Trail) bietet, frei nach dem Vorbild des "Trans America Trail" mittlerweile schon gut 38.000 Kilometer auf so weit wie möglich unbefestigten Wegen durch nahezu ganz Europa. Vom Schwierigkeitsgrad variiert das "Angebot" zwischen Strecken für große Reiseenduros und durchaus anspruchsvollen Enduro-Trails, weshalb ich mich mit der CCM auf der richtigen bzw. sicheren Seite wähnte und die Sache allein sowieso eher defensiv angehen wollte, sollten sich die Strecken als wirklich anspruchsvoll entpuppen. Schon am Weg dorthin nahm ich wieder einige Schotterstraßen mit und begegnete Frohnleichnahms-Prozessionen und zahlreichen Kirchgängern – dass die Polen sehr religiös sind, zeigten mir auch viele festlich geschmückte "Altare" vor ihren Häusern.
Unterwegs in Polen (Richtung ukrainische Grenze):
Die vielleicht 50 bis 70 Kilometer am TET Polen, die sich am Nachmittag bei drückender Schwüle noch ausgingen, führten großteils durch Wälder und weckten in mir den Wunsch, irgendwann wieder zu kommen und die gesamten gut 1.000 TET-Kilometer von Hrebenne an der ukrainischen Grenze bis rauf nach Berżniki am "Dreiländereck" mit Litauen bzw. Weißrussland unter die Stollenräder zu nehmen. Was ich bislang von der Strecke gesehen habe, wäre zwar durchaus auch "Tiger-tauglich" gewesen, mit der CCM GP450 machen mir solche Touren aber doch mehr Spaß. Speziell in den Wäldern waren die Wege übrigens oft auffallend "sandig", so dass das Vorderrad (mit dem Michelin Anakee Wild) mitunter die Führung verlor und man auch schon mal "ungeplant" driftete. Auf jeden Fall konnte man es an diesem Tag richtig schön stauben lassen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die eine oder andere Passage nach starken Regenfällen durchaus anspruchsvoll werden könnte.
Unterwegs am TET Polen:
Auf der Suche nach einer Tankstelle für den schon gefährlich leer gefahrenen 20-Liter-Tank der CCM fand ich in Susiec mit der Pension Sosnowe Zacisze eine nette Bleibe, in der ich um umgerechnet ca. 30 Euro inklusive Frühstück nächtigte. Zwei Bier und eine an Kärntner Kasnudeln erinnernde regionale Spezialität sorgten schon bald für die nötige Bettschwere.
Übersichtskarte
Am vierten Tage musste es wieder langsam Richtung Heimat gehen, schließlich stand ja auch noch Prag gemeinsam mit Sozia am Plan. Dennoch konnte ich einfach nicht widerstehen, um den TET Polen noch ein gutes Stück weiter zu fahren. Also bin ich schon kurz nach sieben Uhr los und tummelte mich zunächst rund 80 Kilometer auf den Waldtrails zwischen Susiec und Janów Lubelski herum, ehe ich mich dann zur Mittagszeit doch südwärts Richtung Zakopane aufmachte. Das Wetter war erneut trotz der Vorhersage heftiger Gewitter perfekt, ja fürs Offroadfahren fast zu heiß, rund 80 Kilometer vor meinem Tagesziel schien eine Dusche von oben aber unausweichlich. Fuhr ich doch förmlich auf eine dunkle Wolkenwand zu, weshalb ich mich dann auch dazu entschloss, in die Allwetter-Montur meines Touratech Companero zu schlüpfen…
…bis auf ein paar nicht nennenswerte Tropfen am Visier kam ich dennoch trocken in Zakopane an. Wo es erstmals auf dieser Reise richtig touristisch abging. Zum Glück fand ich mit der Villa Vita direkt am Beginn der belebten Fußgängerzone Krupówki im Zentrum rasch ein nettes Hotel, mit Parkplatz hinter dem Haus. Inklusive (sehr feinem) Frühstück um umgerechnet ca. 60 Euro – und mit unzähligen Restaurants bzw. Einkaufsmöglichkeiten in unmittelbarer Umgebung. Zwei Bier und ebensoviele, gegrillte polnische Würstln ließen mich nach einem langen Fahrtag aber rasch im Land der Träume versinken.
Meine Laune hätte nicht besser sein können: Vier wunderbare Moped-Tage lagen hinter mir, die Vorfreude auf Mel, drei gemeinsame (Tiger)-Tage in Prag und davor noch ein feines Abendessen in Wien war riesig. Trotzdem fand ich noch Zeit für ein paar "Skiflugfotos" in Zakopane, ehe ich dann wirklich noch geflogen bin. Die Strecke war auch an diesem Tag gut gewählt, hatte ich doch bis zum Abend für rund 540 geplante Kilometer Zeit. Da gehen sich einige Kurven aus – und davon hat die Tatra ja wirklich jede Menge zu bieten. Speziell die bei slowakischen Bikern so beliebte Huty-Strecke zwischen Zuberec und dem Liptauer Stausee. Wo mir der Albtraum jedes Motorradfahrers widerfuhr: In einer Rechtskehre kam mir auf einmal ein Auto auf meiner Straßenseite entgegen, durch Drücken kam ich noch irgendwie innen daran vorbei, ich höre mich noch ein "super reagiert" in den Helm schreien – ehe ich dann am Kurvenausgang doch noch weggerutscht bin. Vermeintlich harmlos, da langsam, trotzdem zog ich mir einen Schien- und Wadenbeinbruch unter dem Cross-Stiefel am rechten Unterschenkel zu. Der Rest ist rasch erzählt: Eine Nacht im Krankenhaus von Liptovský Mikuláš, am nächsten Tag dann (Dank ÖAMTC-Schutzbrief, der auch für den Heimtransport der fast unversehrten CCM sorgte) Überstellung ins UKH Wien-Meidling, wo ich wegen Infektionsgefahr fünf weitere Tage bis zur OP warten musste, bei der mir dann eine Platte eingesetzt wurde. Und jetzt daheim beginnt die lange Reha, bis ich wieder auf dem Motorrad sitzen kann…
Fazit:
Was soll man für ein Resümee von einer Reise ziehen, wenn man im Krankenwagen mit gebrochenem Unterschenkel heimgeführt wird? Klar ist es besch...eiden gelaufen. Und trotzdem denke ich, dass Polen und die Slowakei mich und meine Motorräder wieder sehen werden. Die Mischung aus richtig schönen, kurvenreichen Straßen in der Hohen Tatra und fahrenswerten unbefestigten Wegen im Karpaten-Vorland auf polnischer Seite war ganz nach meinem Geschmack, die eher deftige Küche ebenso. All das hab ich knapp viereinhalb Tage lang genossen, ehe mich aus heiterem Himmel der Hammer traf. Meine Gedanken zum Unfall habe ich schon hier beschrieben, weshalb ich mich nicht mehr länger mit etwas beschäftigen will, was ich nicht ändern kann. Der Blick ist nach vorne gerichtet, die Reha wird hart genug und braucht jetzt all meine Aufmerksamkeit. Wobei ich dem Bein die Zeit geben werde, die es braucht, auch wenn ich am liebsten schon wieder morgen am Moped sitzen würde. Aber natürlich will ich alles dafür tun, damit sich diese nötige Zeit in Grenzen hält.
Eines aber muss ich schon noch loswerden: Die unfassbar vielen Zuschriften auf den unterschiedlichsten Wegen haben mich enorm gefreut und mitgeholfen, die Schmerzen einigermaßen zu ertragen. Danke dafür, Freunde!
Für Schnäppchenjäger:
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Reisen ist tödlich
für Vorurteile.
Mark Twain
Unter Motorradfahrern gibt es keine Fremden - nur Freunde, die man noch nicht getroffen hat.
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