Honda NC 700 X • Modelljahr 2013

Die Sparsame geizt nicht mit Spaß

Letztes Jahr brachte Honda mit den NC700-Modellen S und X eine neue Mittelklasse auf den Markt, die sich Motor und Rahmen mit dem Integra-Roller teilt. NC steht für "new concept", und so präsentiert sich das Motorrad auch. Dort, wo üblicherweise der Tank untergebracht ist, sitzt bei der NC700 ein Staufach, das sogar einen Integralhelm schluckt, der Kraftstofftank ist dafür schwerpunktgünstig zwischen die Rohre des Heckrahmens gerutscht und fasst 14,1 Liter. Das reicht allemal, um die Honda mit einer Tankfüllung deutlich über 300 Kilometer weit zu bewegen, begnügte sie sich doch im Test mit schlappen 3,8 Liter auf 100 Kilometer. Die Werksangaben von 3,5 Liter sind bei gemütlicher Fahrweise wohl auch zu erreichen und selbst bei forscher Gangart oder offroad waren es nur selten über 4 Liter.

Ich hatte die Gelegenheit, die NC700X eine Woche lang an der portugiesischen Algarve ausgiebig zu fahren und war unter dem Strich durchaus angetan. Natürlich ist der 48PS-Zweizylinder kein Kraftprotz, lässt aber auf kurvigen Landstraßen fast nichts vermissen. Unter 100 km/h schiebt der Motor sogar richtig kräftig an, etwas gewöhnungsbedürftig ist dabei freilich der recht früh einsetzende Drehzahlbegrenzer, man hat den Dreh aber bald heraußen, früher als gewohnt zu schalten, um bei Überholmanövern nicht plötzlich zu "verhungern". Ab etwa 110, 120 km/h tut sich die NC dann aber mit dem Beschleunigen schon merkbar schwerer, für längere Autobahnetappen ist sie definitiv nicht gemacht.

Zentrales Element der Amaturen ist die gut ablesbare digitale Geschwindigkeitsanzeige, der schmale Balken des Drehzahlmessers ist dagegen nur schlecht zu sehen, auf eine Ganganzeige wurde verzichtet. Dafür hat man ABS serienmäßig mit an Bord, für ein Motorrad dieser Preisklasse keine Selbstverständlichkeit, packen die Bremsen wirklich ausgezeichnet zu – da braucht die NC700X auch den Vergleich mit großen Reiseenduros nicht zu scheuen. Das Staufach in der "Tankattrappe" lernte ich in der Praxis sehr zu schätzen, kann man darin doch einiges unterbringen, ohne das Bike mit einem Topcase "verunstalten" zu müssen. Für mich ersetzte es an der Algarve einen (riesigen) Tankrucksack und schluckte neben der Foto- und Videoausrüstung auch noch Straßenkarten und Wasserflaschen. Obwohl dadurch natürlich gewährleistet ist, dass der Deckel auch immer versperrt ist, fand ich einzig den Umstand ein wenig nervend, das Staufach nur mit dem Zündschlüssel öffnen zu können – so musste für jeden Schnappschuss oder kurzen Blick auf die Karte immer auch gleich der Motor abgestellt und der Schlüssel abgezogen werden. Hier würde ich Spielraum für einen praktischen Verbesserungsansatz sehen, in dem man die Möglichkeit bietet, das unversperrte Fach einfach per Hand zu öffnen…


Im Vergleich zur NC700S, die ein reines Naked Bike ist, weist die X, bei der Front- und Seitenteile verkleidet sind, die äußerlichen Erscheinungsmerkmale einer Reiseenduro auf, ist sie mit einer höheren Sitzbank (830 mm gegenüber den 790 mm der S), mehr Bodenfreiheit sowie einem etwas größeren Federweg von 153,5 mm vorne bzw. 150 mm hinten (gegenüber jeweils 120 mm) ausgestattet. Und wenn man sie auf der Homepage von Honda sucht, ist sie dort unter "Enduros" zu finden. Schon deshalb konnte bzw. wollte ich ihr den einen oder anderen Ausflug weg von asphaltierten Straßen nicht ersparen. Wobei die Honda-Marketingmacher den Gedanken nicht bis zur letzten Konseuqenz gingen, kam doch das Testmotorrad serienmäßig auf Metzeler Roadtec daher. Der Reifen macht auf der Straße, wo er auch hingehört, an der NC eine ausgezeichnete Figur, ist komfortabel und hält auch bei Schräglagen bis an die Rasten die Spur. Abseits davon macht er dafür schon recht einfache Gatschpisten zum "Abenteuer". Dennoch meistert die X, die mit vollgetankt 218 kg (welche man ihr beim Fahren freilich nie anmerkt) ja auch alles andere als ein Leichtgewicht ist, "Offroad light" in ordentlicher Manier.

Nur bei beherzter Fahrweise stößt das Fahrwerk recht bald an seine Grenzen, dies gilt aber genauso auch für schlechte, unebene asphaltierte Straßen: Während die Honda auf glatten Strecken selbst bei hohen Geschwindigkeiten ein hohes Maß an Sicherheitsgefühl vermittelt und satt in der Kurve liegt, wird man bei Bodenwellen rasch wieder von Wolke sieben runter geholt. Apropos hohe Geschwindigkeiten – mit der Tacho-Anzeige dürften es die Japaner bei der NC700X nicht sonderlich genau nehmen: Anders kann ich mir die Diskrepanz von 185 km/h auf der Anzeige und der offiziell angegebenen Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h nur schwer erklären…

Fazit:

Auch wenn die NC700X de facto mehr Cityflitzer denn Reiseenduro ist und sich auf glatt asphaltierten Straßen am wohlsten fühlt, so hat Honda damit ein wirklich alltagstaugliches Motorrad auf den Markt gebracht. Das sowohl für Einsteiger als auch jene interessant ist, die ein in Anschaffung, Verbrauch bzw. Erhaltung gleichermaßen günstiges Gefährt suchen und auf Leistung im Überfluss verzichten können. Ich persönlich würde die Serienbereifung gegen einen Straßenenduroreifen a la Bridgestone Battlewing oder Conti Trail Attack tauschen – dann machen auch gelegentliche Ausflüge auf Feld- und Schotterwege, wozu die X durchaus in der Lage ist, Spaß. Denn der Spaßfaktor wird bei der rundum wertig anmutenden und verarbeiteten Honda groß geschrieben, dazu bekommt man praktisch die Optik der preislich und leistungsmäßig höher angesiedelten Crossrunner um's "kleine Geld". Diese, bzw. der dann immerhin schon das doppelte an Budget fressende Crosstourer wären als Reisemotorrad natürlich die bessere Wahl, für entspannte Tages- oder auch Wochenendtouren reicht die NC700X aber allemal.

 

© 02/2013