KTM 1190 Adventure by Touratech • Modelljahr 2013

Sachen packen, aufsteigen, losfahren –

am besten weit, weit weg…

Klickst du auf der offiziellen Homepage von KTM auf die neue 1190 Adventure, dann steht dort "alles und noch mehr" – ein Werbeslogan, mit dem die Marketingleute in Mattighofen ziemlich genau ins Schwarze treffen. Denn viel mehr an Kraft, Komfort und technischen Spielereien ist für eine Reiseenduro wirklich nicht mehr denkbar. Ob das jetzt auch alles benötigt wird, steht auf einer anderen Seite, im Zeitalter der SUV's im Großstadtdschungel muss aber auch nicht lange über den Sinn eines Hi-Tech-Fernreisemotorrads am Parkplatz vor der Eisdiele ums Eck diskutiert werden.

Apropos. Ich hatte die Gelegenheit, eine Woche lang mit einer vom Fernreisespezialisten Touratech ausgestatteten Adventure 1190 zu fahren – derart adjustiert steht der großen Tour nun wirklich nichts mehr im Wege! Kaum auf dem Markt, haben sich die Jungs aus Niedereschach des neuen Flaggschiffs von KTM angenommen und ihr jede Menge Gimmicks verpasst, die das Unterwegs sein angenehmer, das Motorrad widerstandsfähiger und zum Teil auch noch fescher machen. Das beginnt beim Motorschutz aus Alu, über den Scheinwerferschutz, farblich wie ergonomisch angepasstem Tankrucksack bzw. Soziussitztasche, geht über eine spezielle, bequemere Sitzbank, Halterungen für Navis oder iPhone bis hin zum bewährten Zega-Pro-Koffersystem in seiner zweiten Generation. Alles, wie von Touratech gewöhnt zwar nicht billig, aber qualitativ hochwertig sowie praktisch durchdacht und -gemacht – von Motorradfahrern für Motorradfahrer eben.


Kurvengeil: Das 19-Zoll-Vorderrad.
Kurvengeil: Das 19-Zoll-Vorderrad.

Aber da ist ja auch noch das Motorrad selbst, an dem all dieses mehr oder weniger nützliche Zubehör angebracht wird – was für ein Motorrad! Schon die nackten Daten des aus dem KTM Superbike 1190 RC8 R stammenden Motors flößen Respekt ein: 150 PS, 125 Newtonmeter! Da geht die Musik ab, auch wenn die Ingenieure in Mattighofen das Monster gegenüber der Rennmaschine um 25 Pferde zügelten und um einiges fahrbarer machten. Mit einem beeindruckenden Ergebnis: Da ruckelt nichts, selbst in der Spitzkehre im zweiten Gang nicht, so dass man sich schon fast fragt, ob man wirklich auf einer KTM und nicht im Sattel des bayrischen Klassenmaßstabs sitzt. Zumindest punkto Sportlichkeit übertrumpfen die Österreicher den deutschen Bestseller aber klar, das Ready to Race darf durchaus wörtlich genommen werden.

Und animiert bei diesem Gefährt regelrecht zu Wortspielen wie "Fernracen" oder "Ready to Ras“. Speziell mit dem bei der "normalen" Adventure gegenüber dem Vorgängermodell 990 auf 19-Zoll geschrumpften Vorderrad (bzw. 17-Zoll-Hinterrad) geht es praktisch wie von selbst um die Kurve, verkommt der Rückspiegel auf Pass-Straßen zum bedeutungslosen Accessoir – wer bitte soll denn da noch von hinten nachkommen?!

Speziell im Sport-Modus schießt die KTM bei voller Leistung den Berg hinauf, als wäre die Funktstreife hinter ihr her, amüsant mitanzusehen, wie sich die elektronischen Helferchen per Lichtanzeige im Cockpit bemerkbar machen, wenn man sie bei forscher Fahrweise zum regelmäßigen Eingriff zwingt. Die Fülle an Technik, die dieses Motorrad mit an Bord hat, ist schon beeindruckend, trotzdem verliert man am großzügigen Display nie die Übersicht, ist alles durchdacht einfach zu bedienen. So lässt sich sogar im Fahren zwischen den Modis Sport, Street, Rain und Offroad wechseln, wozu nur der Gasgriff kurz zugemacht werden muss – und selbst dazu fordert einen die Anzeige auf, falls man darauf vergessen sollte.

Die umfangreichen Informationen sind gut ablesbar…
Die umfangreichen Informationen sind gut ablesbar…

Linentreu: Der Metzeler Tourance Next
Linentreu: Der Metzeler Tourance Next

Wie man überhaupt laufend mit einer Fülle an Informationen versorgt wird: Öl- und Außentemperatur, Reichweite, Benzinverbrauch, Batteriespannung, Reifendruck und, und, und…

Die Traktionskontrolle (MTC) arbeitet schräglagenabhängig und hält das PS-Monster, wie schon erwähnt in vier verschiedenen Abstimmungen im Zaum bzw. auf dem Boden, wobei im Rain- und Offroad-Modus die Leistung auf maximal 100 PS reduziert wird. Natürlich lässt sich das MTC auch gänzlich wegschalten, was aber nur der Profi machen sollte. Die Gasannahme des Ride-by-Wire ist ein Gedicht an Gleichmäßigkeit, das Temperament des Motors kommt ab ca. 3000 U/min zum Vorschein. Bei soviel Vortrieb ist es natürlich interessant, wie rasch die Fuhre wieder zum Stehen gebracht werden kann – die Brembo-Bremsen (vorne arbeiten zwei 320mm-Scheiben, hinten eine 267mm) verrichten im Zusammenspiel mit dem feinfühligen ABS von Bosch ganze Arbeit, beim Betätigen der Vorderradbremse wird zur Erhöhung der Fahrstabilität gleichzeitig auch immer das Hinterrad leicht mitgebremst. Das ABS greift im Offroad-Modus übrigens sinnhafter Weise nur am Vorderrad ein, was in der Praxis gut funktioniert weshalb man es auch abseits befestigter Wege nicht wegschalten muss.

Der Federweg von 190 mm vorne wie hinten zeigt, dass sich die KTM keinesfalls nur auf glatten Straßen wohl fühlt, das elektrisch einstellbare Fahrwerk bügelt Unebenheiten weg wie nix und zählt zum Besten, was serienmäßig in Reiseenduros verbaut ist. Ausgestattet war das Testmotorrad mit dem Tourance Next von Metzeler, ein Reifen, der auch bei hoher Geschwindigkeit in langgezogenen Kurven die Linie hält und ein hohes Maß an Sicherheitsgefühl vermittelt, bei Nässe gab's aber trotz aller elektronischer Helferchen den einen oder anderen Rutscher.

Der Windschutz ist gut, der Kniewinkel angenehm entspannt (durch die Verstellbarkeit von Rasten und Lenker auch für verschieden große Fahrer) und die Komfort-Sitzbank von Touratech lässt es auch auf langen Strecken nie unbequem werden. Genehmigt hat sich die Adventure bei vornehmlich forscher Fahrweise im Test exakt 6,0 Liter auf 100 Kilometer, geht man es gemütlicher an, sollte dieser Wert um einen halben oder eventuell auch ganzen Liter zu senken sein. Wobei es schon schwer fällt, mit diesem Teil "gemütlich" unterwegs zu sein…

Fazit

Mit der 1190 Adventure hat KTM wieder eine Reiseenduro im Programm, die auch technisch auf dem allerletzten Stand ist und mit einer ganzen Reihe an Innovationen aufwartet – ohne dabei wirkliche Abstriche auf unbefestigten Wegen, dem Metier der Mattighofener, und schon gar nicht punkto Sportlichkeit machen zu müssen. Eigentlich fast schon pervers, wenn ich bei der Suche nach wirklichen Kritikpunkten daran denke, dass das 150 PS starke Motorrad schon fast zu perfekt anmutet, mir ein wenig der Charakter fehlte, den man von einer KTM gewöhnt ist. Für mich persönlich und meine Schotter- bzw. Offroadambitionen wäre die "R" mit ihrem 21-Zoll-Vorderrad (18-Zoll hinten) die erste Wahl, wobei ich mir ja immer noch eine 690 Adventure aus Mattighofen wünschen würde – die müsste gar nicht alles an Schnickschnack von der Großen an Bord haben, einige Dinge wie dieses wunderbar arbeitende ABS würden der 690 Enduro aber schon auch gut stehen. Touratech hätte wieder was zum Basteln und ich das Motorrad im Fall der Fälle doch erheblich einfacher wieder aufgestellt…

© 09/2013