Honda CRF 1000L Africa Twin  • Modelljahr 2016

So soll Reiseenduro sein!

Am Weg zurück von Kroatien hatte ich ausreichend Zeit, mir unter dem Helm so meine Gedanken über dieses Motorrad zu machen. Bequem genug rollt die Africa Twin schließlich auch auf der Autobahn dahin, selbst nach langen Tagesetappen tut einem der Hintern nicht weh.

Muss ja auch so sein, bei dem Namen. Doch halt: Ich hatte mir vorgenommen, hier weder groß auf das "Erbe", das die Honda CRF 1000L antritt einzugehen noch einfach so in den allgemeinen Jubeltenor der Fachpresse einzustimmen, den gleich die ersten (Kurz)-Tests in den diversen Redaktionen ausgelöst hatten. Ersteres fällt mir relativ leicht, habe ich doch nie eine "alte" AT besessen, auch wenn ich natürlich wie jeder Adventure-Rider mehrmals eine gefahren bin, und bin daher so gut wie nicht vorbelastet. Bei Punkt zwei wird die Sache schon diffiziler. Kritikpunkte an diesem Motorrad zu finden, gleicht wirklich beinahe der Suche nach Läusen auf meinem glattrasierten Schädel. Doch dazu später.

Je eine Woche lang stellte mir Honda Österreich im März 2016 erst die mit manuellem Schaltgetriebe ausgestattete ABS-Version im Rally-Red-Design und dann eine mit dem DCT genannten Doppelkupplungsgetriebe zur Verfügung, die als Reminiszenz an die "Legende" im klassischen Tricolore-Outfit samt goldener Speichenfelgen daherkam. Für Puristen wird noch ein drittes Modell ohne ABS und Traktionskontrolle angeboten, welches aber wohl in den Verkaufsstatistiken eher eine untergeordnete Rolle spielen wird. Dass ich mit den beiden Motorrädern 1000 bzw. 2600 Kilometer unterwegs gewesen bin, sagt doch schon recht viel aus. Man fühlt sich eben auf Anhieb wohl auf der Africa Twin. Da passt die Sitzposition, der Kniewinkel, sitzt einfach (fast) alles, selbst wenn man beim Fahren steht…

Die 95 PS des Parallel-Twins, der seine Kraft aus 998 Kubik bezieht und mit einem satten Drehmoment von 98 Newtonmetern aufwarten kann, reichen in meinen Augen in jeder erdenklichen Lebenslage einer Reiseenduro vollkommen aus. Fürs Cruisen sowieso, aber auch für sportliche Gangart eine Passstraße hinauf oder schnittige Überholvorgänge, ohne deshalb auf unbefestigten Wegen zu überfordern. Die Leistungsentfaltung ist fast über das komplette Drehzahlband gleichmäßig, der Sound aus einem jener dicken Serien-Endschalldämpfer, an die wir uns dank Euro 4 längst gewöhnen mussten, klingt charaktervoll, aber unaufdringlich. 

Bereits fürs Grobe: Das 21-Zoll-Voderrad auf Speichenfelgen.
Bereits fürs Grobe: Das 21-Zoll-Voderrad auf Speichenfelgen.

Dass die Honda mit vollgetankt 232 bzw. 242 (DCT) Kilo kein Leichtgewicht ist, merkt man ihr beim Fahren nicht an. Die Rad-Dimensionen von 21 Zoll vorne und 18 Zoll hinten zeigen vielmehr, wohin die Reise gehen darf bzw. bügeln Unebenheiten im Zusammenspiel mit dem für ein Serienfahrwerk sehr guten Federelementen (vorne 230 mm, hinten 220 mm Federweg) problemlos weg. Da fliegt es sich entspannt mit 100 km/h über Schotterpisten, ohne dass dies groß auf Kosten der Handlichkeit auf kurvigem Asphalt geht. Schwerpunkt- und Masseverteilung sind gelungen, weshalb sich die Africa Twin im gemäßigten Gelände leichter fährt als vergleichbar schwere Reiseenduros, gefühlt eher in der 800-Kubik-Klasse spielt, mit der sie freilich auch leistungsmäßig eher zu vergleichen ist. Die Bremsen (vorne sind zwei, hinten ist eine 310-mm-Nissin-Scheibe verbaut) verzögern das Motorrad gut, ohne dabei zu giftig für den Offroad-Betrieb zu sein, das am Hinterrad wegschaltbare Zwei-Kanal-ABS regelt relativ früh. Ab Werk werden in Österreich als Bereifung der straßenlastigere Dunlop Trailsmart sowie für ein Mehr an Schotter der gute alte Conti TKC 80 angeboten, ich kann mir vorstellen, dass den Speichenrädern der AT aber auch ein Michelin Anakee Wild (ab 2018 erhältlich) Heidenau K60 Scout oder Metzeler Karoo 3 gut stehen bzw. die Möglichkeiten des Motorrades weitgehend abdecken würden, auch der TKC 70 könnte eine gute (Kompromiss)-Wahl sein.

Geschalten wird beim DCT nicht mit dem Fuß, sondern am Lenker
Geschalten wird beim DCT nicht mit dem Fuß, sondern am Lenker

Als "Alleinstellungsmerkmal" kann Honda das mittlerweile schon sehr ausgereifte Doppelkupplungsgetriebe ins Rennen um die Käufergunst werfen. Neben dem eher gemütlich ausgelegten Drive-Modus lässt sich im "Automatik-Betrieb" noch zwischen drei Sportprogrammen wählen, in denen die Gänge unterschiedlich hoch drehen und wohl für jeden Fahrstil etwas dabei sein müsste. Ich war vorrangig im "Sport 2" unterwegs, wenn ich nicht gerade selbst Hand anlegte. Im wahrsten Sinne des Wortes, wird doch bei der DCT am linken Lenker geschaltet (mit dem Zeigefinger rauf, mit dem Daumen runter). Was nicht nur im manuellen Betrieb sondern auch jederzeit in einem der verschiedenen Programme möglich ist, etwa um vor einem Überholvorgang runterzuschalten oder auch mal im Sportmodus, in dem die Honda bei offenem Gasgriff gehörig anreißt, früher hochzuschalten…

Anstelle einer Kupplung befindet sich am linken Griff noch eine Feststellbremse – weit genug entfernt, um sie nicht aus Gewohnheit irrtümlich zu betätigen und mit einem eigenen Bremskreis. Überrascht war ich, wie toll das DCT auch Offroad funktionert, wenn man den Gravel-(=Schotter)-Knopf zum jeweiligen Programm drückt, wodurch sich das Schlupf-Verhalten merklich bessert und die Schaltvorgänge rascher ablaufen, vergleichbar mit dem Schalten ohne Kupplung. Speziell Schotter-Einsteiger werden sich damit wohl fühlen, kann es doch gerade bei engen Kehren oder kniffligen Passagen einiges an Stress nehmen, wenn man keine Gedanken an die richtige Gang-Wahl bzw. ans Kuppeln verlieren muss und sich ausschließlich auf die beste Linie konzentrieren kann. Als Extra bietet Honda für "Gewohnheitstiere" neuerdings sogar einen Fuß-Schalthebel an, mit dem es sich dann ähnlich wie bei Recluse-Kupplungen von Sportenduros schalten lässt. Ich denke, das wäre bei mir eine "Pflichtanschaffung", wenngleich der Preis von € 432,– (Ö) geschmalzen ist.

Fesch, gut - aber teuer: Die Zusatz-Scheinwerfer der Africa Twin
Fesch, gut - aber teuer: Die Zusatz-Scheinwerfer der Africa Twin

Gleiches gilt noch mehr für das Nebelscheinwerfer-Set (999,– Euro inklusive des dafür benötigten Zierbügel!), das genauso wenig zum an sich angemessenen Basispreis des Motorrads passt. Mit vier verschiedenen Ausstattungs-Paketen kommen ausgesuchte Teile zwar günstiger an die Africa Twin, dennoch hat man sich in der Zubehör-Preisgestaltung nach meinem Geschmack doch ein wenig zu sehr an den deutschen Klassen-Primus angelehnt. So kommt eine vollausgestattete DCT-AT in Österreich dann schon auf mehr als 19 Tausender. Ansonsten sind Kritikpunkte aber wie schon eingangs erwähnt wirklich rar, dass der Schalter für die Betätigung der Hupe oberhalb jenes für den Blinker liegt, löste Anfangs den einen oder anderen ungewollten bzw. auch unangenehmen (etwa beim kopfschüttelnden Zöllner an der kroatisch-slowenischen Grenze) Signalton aus, daran gewöhnt man sich aber rasch und stellt sich darauf ein. 

Die Amaturen sind manchmal schwer ablesbar
Die Amaturen sind manchmal schwer ablesbar

Die digitalen Amaturen, die jede nur erdenkbare Information an den Fahrer liefern und durch einfache Bedienbarkeit gefallen, sind mit der hellen Schrift auf dunklem Untergrund unter manchen Lichtverhältnissen etwas schwer abzulesen, das ist aber jetzt wirklich  schon Jammern auf hohem Niveau.

Und dass die Fußrasten für meinen Geschmack zu klein geraten sind (vor allem für ein Motorrad, das den Anspruch erhebt, im Gelände "daheim" zu sein und ergo nicht selten stehend bewegt wird), kommt eben der Zubehör-Industrie zu Gute. Andernfalls wird man mit der Zeit womöglich einen erhöhten Stiefel-Verschleiß beklagen müssen, abgesehen vom Verletzungsrisiko durch mögliches Abrutschen von den Rasten beim Stehendfahren…

Die Windschilder zählen zu den Besten am Markt
Die Windschilder zählen zu den Besten am Markt

Vorbildlich ist dagegen der Windschutz, das spezielle Design des Windschilds mit dem mittig platzierten Luft-Einlass sorgt für weitestgehend verwirbelungsfreie Fahrt. Mit dem originalen Schild ist man bei einer Körpergröße von unter 1,80 Meter bis Tempo 140 km/h auf der ruhigen Seite, wer es noch komfortabler haben will, findet im Honda-Zubehör auch eine große Touren-Scheibe. Mir als Freund von kleinen Scheiben gefällt die Originale besser.

Sowohl die DCT als auch die ABS verfügen serienmäßig über eine dreistufige Traktionskontrolle, zwischen denen sich auch während der Fahrt jederzeit switchen lässt. Auf Stufe drei greift "die unsichtbare Hand" schon sehr früh ein, was bei sportlicher Fahrweise für regelmäßiges Disco-Geblinke im Cockpit sorgt, die gemäßigteren Stufen zwei und eins (meine bevorzugte Wahl) sind da schon zurückhaltender bei ihrer Arbeit im Dienste Sicherheit. Und für die Fahrt über den Schotter lässt sich das Ding auch komplett wegschalten.

Der Verbrauch lag im Schnitt bei ca. 5,5 Liter auf 100 Kilometer, wobei sich das DCT-Modell einen Tick mehr gönnte, als der Schalter – ob das repräsentativ ist oder doch eher den unterschiedlichen Strecken geschuldet war, die ich mit den Motorrädern gefahren bin, wage ich hier nicht zu behaupten. Jedenfalls ist der Wert in Ordnung und lässt in Anbetracht des 18,8-Liter-Tanks Reichweiten von knapp 350 Kilometer zu.

Genug jedenfalls, um damit auf Reisen  zu gehen, wie ich mich nach Ostern gleich selbst überzeugt habe und die Africa Twin in der DCT-Variante durch Ungarn, Kroatien, ein Stück Bosnien und Slowenien führte. Ausgestattet vom Fernreise-Spezialisten Touratech, der sich bereits ausführlich der neuen Honda angenommen hat und schon jede Menge nützlicher Features für unterwegs anbietet:

Das beginnt bei den für "artgerecht" eingesetzte Reiseenduros unverzichtbaren Sturzbügeln (die am Test-Bike noch nicht montiert gewesen sind), geht über diverse Gimmicks wie Navi-Halterungen, passenden Tankrucksäcken, Soziustaschen bis hin zum robusten Zega-Pro-Koffer-System in verschiedenen Größen. Selbstverständlich bietet aber auch Honda selbst ein Koffersystem inklusive Topcase an, das nicht nur in wenigen Handgriffen montiert ist, sondern an drei bereits auf dem Motorrad vorhandenen Befestigungspunkten (zwei neben der Sitzbank, einer über den Sozius-Rasten) fixiert wird. Der Vorteil: Sind die Koffer nicht montiert, stören keine wuchtigen Halterungen das Erscheinungsbild. Apropos Erscheinungsbild: Die Sitzbank der Africa Twin ist nicht nur bequem und verursacht auch auf langen Etappen keinerlei Beschwerden, sondern auch farblich schick auf das jeweilige Modell abgestimmt. 

"Auf die Honda Africa Twin bin auch ich schon sehr neugierig gewesen, soviel wie über die im Vorfeld geschrieben und geredet worden war. Und ich muss sagen: Sie sieht nicht nur gut aus, sondern ist definitiv auch was für die Reise zu zweit. Erinnerte mich sehr an unseren Tiger, da kannst schon den ganzen Tag hinten drauf sitzen, ohne dass du danach eine Massage brauchst. Wobei das mit der Massage am Abend gar keine schlechte Idee wäre. Mit ihr sind wir auch auf Schotter unterwegs gewesen – war auszuhalten. Unterm Strich gibt's von mir vier von fünf möglichen Wölfen."


Fazit:

Natürlich hat Honda die Reiseenduro nicht neu erfunden, das tat man vielleicht einst mit der ersten Africa Twin – aber die CRF1000L ist mehr als nur eine von vielen Alternativen am Markt. Zumindest für mich kommt sie dem, was ich mir unter einer Reiseenduro bzw. auch einem Motorrad für den täglichen Gebrauch vorstelle, verdammt nahe. Irgendwie bin ich aber fast froh, dass mein Tiger mit seinen aktuell 108.000 Kilometern auf der Uhr gerade einmal eingefahren ist und ich mich zumindest aktuell nicht zwischen dem Schalter und der DCT-Variante entscheiden muss: Einerseits lockt natürlich dieses selbst offroad wunderbar funktionierende Doppelkupplungsgetriebe, das das Motorrad in seiner Klasse einzigartig macht, andererseits kann auch Honda die Gesetze der Schwerkraft nicht überlisten und zehn Kilo mehr sind eben auch zehn Kilo mehr, die es im Fall des Falles aufzuheben gilt. Aber es ist schön, wieder einmal von einem aktuellen Modell bestätigt zu bekommen, dass man auf einer Reiseenduro keine 100 PS benötigt, um damit Spaß zu haben.

© 04/2016