Endurowandern

Anders als etwa beim Fahren mit Sozia oder in der Gruppe gibt es fürs Endurowandern keine allgemein gültigen "Regeln", versteht doch jeder darunter etwas anderes, auch wenn es prinzipiell darum geht, eine Enduro "artgerecht", also abseits asphaltierter Straßen, zu bewegen.

Grundsätzlich macht es da natürlich einen großen Unterschied, ob man auf einer leichten Sportenduro unterwegs ist, oder eine ungleich schwerere Reiseenduro, meist auch noch mit dem für die Reise nötigen Gepäck beladen, bewegt. Auch wenn es ganz sicher seinen Reiz hat, einen wendigen "Gatschhupfer" auf dem Anhänger zum Ziel zu transportieren, um dann vor Ort durchs Gelände zu "wandern" - Rumänien bietet etwa unendliche (noch legale) Möglichkeiten dafür - in diesem Abschnitt geht es ums Endurowandern mit einer Reiseenduro. Mit der wird man zwar eher selten über Hügeln springen oder mit Volldampf durch enge Kehren driften, mit der nötigen Routine lassen sich damit aber durchaus viele Pfade erkunden bzw. Landschaften fernab der Massenströme genießen. Nachstehend habe ich einige grundlegende Dinge aufgelistet, die den Fahrspaß abseits befestigter Wege meiner Meinung nach erhöhen und obendrein der Sicherheit im Gelände zuträglich sind.

 

• Auf- und Absteigen

 

Oft kann man sich im Gelände nicht darauf verlassen, dass der Seitenständer einen stabilen Halt hat, umso wichtiger ist es, dass die Maschine beim Aufstieg ausbalanciert ist. Am besten ist der Lenker bei voll gezogener Vorderradbremse bis zum Anschlag in jene Richtung eingeschlagen, von der man nicht aufsteigt – so bleibt das Motorrad beim Aufstieg am stabilsten. Der wichtigste Moment beim Absteigen ist freilich schon davor, nämlich bei der Wahl, wo man die Maschine anhält. Idealerweise natürlich auf festem Untergrund, was eine Menge Stress und Nerven sparen kann. Und da für gewöhnlich nicht jeder ein Stück Holz mitführt, um es zum Stabilsieren unter den aufgeklappten Seitenständer zu legen, kann man sich zu diesem Zwecke auch mit dem (immer im wahrsten Sinne des Wortes zur Hand befindlichen) Handschuh helfen. Noch ein kleiner Tipp fürs Losfahren: Ist die Maschine am Hauptständer abgestellt, einfach aufsteigen, das Gewicht nach hinten verlagern, Motor starten, Kupplung ziehen, ersten Gang einlegen, nach vorne lehnen, gleichzeitig einkuppeln und losfahren – ist relativ rasch erlernt und sieht gut aus…

 


• Blickführung


Der für mich wichtigste Aspekt, sobald man die asphaltierte Straße verlassen hat, ist die vorausschauende Blickführung. Noch weit mehr als am glatten Geläuf kommt es auf Schotterwegen, Wald und Wiese darauf an, die Umgebung stets genau zu beobachten, um jederzeit auf Hindernisse, wie grobe Steine, Felsbrocken, Schlammlöcher etc. vorbereitet zu sein. Geschaut wird nicht aufs Vorderrad, sondern darauf, was sich davor abspielt. Jeder Stein, dem man ausweicht, spart Kraft und Energie.

• Fahren im Stehen


Fahren im Stehen erweitert dabei den Blickwinkel bzw. Horizont, ganz abgesehen davon, dass man auf den Rasten das Motorrad freier unter einem bewegen bzw. bewegen lassen kann. Die Knie sind dabei leicht gebeugt bwz. auch gegen den Tank gepresst, um die nötige Stabilität zu gewährleisten, der Oberkörper leicht nach vorne gebeugt, die Arme leicht angewinkelt und die Ellbogen nach außen gedreht – so lassen sich jederzeit Unebenheiten abfedern. Je höher das Tempo, desto tiefer wird dabei die "stehende" Position. Bodenwellen werden damit ausgeglichen bzw. gedämpft, in dem man das Gewicht weiter nach hinten verlagert, um das Vorderrad zu entlasten, der Oberkörper bleibt dabei jedoch so gut wie möglich nach vorne gebeugt.

 

• Richtige Sitzposition


Aber natürlich kann bzw. will man auf längeren Offroadpassagen nicht die ganze Zeit über im Stehen fahren und wird sich diese Fahrtechnik eher für die anspruchsvolleren Abschnitte aufheben. Doch auch sitzen ist nicht gleich sitzen. Eine gewisse "Spannung", um jederzeit mit Druck auf die Rasten Bodenwellen, Steine etc. abzufedern, ist in jedem Fall ratsam, bergab empfiehlt es sich, auf der Sitzbank ein wenig zurück zu rutschen, bergauf eine dementsprechend weiter vorne gewählte Sitzposition. Zwei Finger an Kupplung und Bremse machen dabei immer Sinn. Richtungsänderungen bzw. Kurven werden am besten mit der "Drücktechnik", wie man sie in jedem Fahrtechnikkurs lernt, absolviert - ohne die aufrechte Sitzpostion dabei zu verändern.

 

Instruktor im Enduro-Park Hechlingen (D)
Instruktor im Enduro-Park Hechlingen (D)

• Hangfahren


Schwung ist prinzipiell der wichtigste Begleiter, wenn es einen Hang hinauf geht, sobald die Steigung erreicht ist, empfiehlt es sich das Vorderrad zu belasten, damit es nicht "abhebt". Der Blick ist an den Scheitel der Auffahrt gerichtet, hat man den höchsten Punkt erreicht, geht der Körper in die Grundposition zurück - wobei man immer bremsbereit sein sollte, speziell wenn man nicht weiß, was einen hinter der Kante erwartet. Sollte die Auffahrt misslingen und man zum Stehen kommen, ist es oft ratsam, den Motor abzuwürgen. So braucht man bei eingelegtem Gang nicht die Fußbremse zu betätigen, um das Motorrad im Hang zu halten, sondern kann mit beiden Beinen am Boden langsam durch gefühlvolles ziehen der Kupplung zurückrollen, bis man an einem Punkt ist, bei dem es sich wenden oder neu anfahren lässt.
Bergab verhält es sich mit der Gewichtsverlagerung umgekehrt (Körper soweit zurück wie möglich), ein fester Knieschluss um den Tank ist meist hilfreich. Bei steileren Abfahrten setze ich gerne die Motorbremse im eingelegten ersten oder zweiten Gang ein und rolle so ohne Gas zu geben den Hang hinunter. Der Lenker sollte so wenig wie möglich belastet, beim Bremsen beide Bremsen in etwa gleichmäßig dosiert eingesetzt werden.
Kennt man das Gelände nicht, wird es mitunter helfen, manch schwierige Passage vorher zu Fuß abzugehen, um die beste Linie zu finden.

• Wasserdurchfahrten


Oft gibt es keinen anderen Weg, als durchs Wasser, oft ist es auch nur der Reiz der Abwechslung – mit der nötigen Vorsicht bzw. Beachtung einiger Grundregeln hält sich das Risiko, das Motorrad zu "ertränken" jedenfalls in Grenzen. Bis zu einer Wassertiefe von ca. 20 Zentimetern holt man sich nicht mehr als nasse Stiefel, solange man nicht umfällt – dies verhindert man am leichtesten dadurch, einen Punkt am anderen Ufer bzw. eben am Ende des Lacke anzuvisieren und zügig darauf los zu fahren. Ist man unsicher, wie tief der zu durchquerende Bach oder Fluss ist, so empfiehlt es sich davor durchzuwaten und den Wasserstand bzw. auch die Bodenbeschaffenheit zu erkunden, ebenfalls immer mit einem fix anvisierten Punkt, um dann dieselbe Route auch mit dem Motorrad zu nehmen. In der Regel ist der Untergrund in einem fließenden Gewässer meist fest genug, um darauf zu fahren. Schwung ist dann im Wasser Grundvoraussetzung, um auf die andere Seite zu kommen, trotzdem darf man keinesfalls zu schnell unterwegs sein, da sonst die Bugwelle zu hoch wird und man leicht die Balance verliert.

 



• Füße auf den Rasten

 

Grundsätzlich gehören die Füße beim Motorradfahren immer auf die Rasten, im Gelände ist das freilich umso wichtiger, da die Verletzungsgefahr durch Steine, Felsbrocken, aus dem Boden ragende Wurzeln etc. viel höher ist. Ausnahmen sind Powerslides bzw. auch im leichten Drift gefahrene Kurven, bei denen der kurveninnere Fuß am Boden gehalten wird, oder Passagen im Schritttempo, wo man quasi mit dem Motorrad bei schleifender Kupplung im ersten Gang "mitgeht".

 

• Reifen

 

Natürlich sind Stollenreifen beim Fahren abseits befestigter Wege zu bevorzugen, für gelegentliche Schotter-Ausflüge reichen aber auch Straßenenduro-Reifen, vor allem wenn es trocken ist. Ratsam ist es jedoch, den Luftdruck um bis zu ein bar zu verringern. Dadurch "dämpft" der Reifen besser wenn es über Stock und Stein geht. Zurück auf der Straße sollte dann wieder entsprechend Luft nachgefüllt werden. Da ich nicht immer einen Kompressor bei der Hand habe (bei Reisen mit dem Tiger ist meist einer im Seitenkoffer) fahre ich bei Offroad-Reisen oft einen Kompromiss von ca. 1,5 - 1,7 bar vorne und 1,8 - 2,2 bar hinten.

 

• Wichtige Punkte

 

Noch wichtiger als bei Touren auf asphaltierten Straßen ist es beim Endurowandern auch, regelmäßig zu überprüfen, ob alle Gepäckstücke auch wirklich sicher sitzen. Auf holprigen Schotterpisten wirken enorme Kräfte auf Mensch und Maschine, können sich auch bei den besten Koffersystemen Schrauben lösen - lieber einmal zu oft nachschauen als einmal zu wenig. Ausreichend Trinkwasser sollte auf jeden Fall auch immer dabei sein, denn der nächste Shop ist meistens weit und das Fahren im Gelände anstrengend. Wenn dann noch unvorhergesehene Pannen dazwischen kommen…

 

All diese Dinge sollen nicht als "Regeln" verstanden werden und jeder wird seinen eigenen Weg finden, mit dem er für sich am besten über unbefestigte Pfade kommt – sie können aber helfen, sich dabei rascher zurecht zu finden. Ich werde diesen Artikel bei Gelegenheit oder frisch gemachten Erfahrungen laufend weiter ergänzen, ohne dies jedesmal unter "Aktuelles" anzukündigen.

 


Nachstehend noch Videos von einem zweitägigen Offroad-Training im Deutschen Hechlingen im März 2012 bzw. einer eintägigen Einheit von Terra X-Dream in Wimpassing/Österreich im April 2013: