Triumph Bonneville Bobber • Modelljahr 2017


Maximal minimalistisch

Da kannst du den Zündschlüssel im Eissalon getrost am Tisch liegen lassen. Nicht, dass die Bonneville Bobber keine Begierden wecken würde – ganz im Gegenteil. Aber bis der geneigte Dieb den Platz findet, wo er den Schlüssel reinstecken sollte, bist du längst auch vom ausgiebigsten Toilettgang zurück. Und spätestens beim ersten Tankstopp wüsste Kollege Langfinger ohnehin nicht mehr weiter: Wer nicht weiß, wie er den schmucken, silbernen Tankdeckel öffnet, wird im Trockenen stehen bleiben. Oder zum Handy greifen. Wie ich das tat, um mich bei Triumph Wien Mitte Ossimoto schlau zu machen. Der Chef höchstpersönlich teilte mir mit, dass ich einfach den oberen Teil mit einem Finger zur Seite schieben könne, um ans Tankschloss zu kommen – und verriet, dass es ihm und seinen Mitarbeitern beim ersten Beschnuppern des Hinguckers nicht anders ging. Das erwähnte Zündschloss ist übrigens rechts seitlich hinter dem 1200ccm-Parallel-Twin angebracht, das hat man sich von den klassischen Vorbildern abgeschaut…

Schon bei der Präsentation auf der EICMA letzten November in Mailand hatte das optisch wohl gewagteste Modell der Retro-Reihe von Triumph mein Interesse geweckt, Ende September 2017 hatte ich nun die Gelegenheit, drei Tage lang damit unterwegs zu sein.

Die Geschichte der Bobber reicht in die 1940er Jahre zurück, als Individualisten ihre Motorräder leichter und damit auch schneller für diverse Straßenrennen machen wollten, indem sie soviele Anbauteile wie möglich abmontierten und ihre Bikes damit auch optisch individualisierten. Die Bonneville Bobber von Triumph kann zwar nicht ganz auf seinerzeit "unnötige" Dinge wie einen vorderen Kotflügel verzichten (der wurde bei den ursprünglichen Bobbern meist verkehrt übers Hinterrad montiert), kommt aber für ein Serienmotorrad maximal minimalistisch daher. Ohne dabei auf die Zeichen der Zeit zu verzichten. So ist die (wegschaltbare) Traktionskontrolle genauso mit an Bord, wie selbstverständlich ABS oder zwei Fahrmodi (Road und Rain), die zwar jeweils die vollen 77 PS zur Verfügung haben, sich aber in ihrer Leistungsentfaltung unterscheiden. Diese kann sich bei der Bobber durchaus sehen lassen, speziell in der unteren Drehzahlhälfte schiebt der flüssig gekühlte, mit einem satten Drehmoment von 106 Newtonmetern versehene Reihen-Zweizylinder das 228 kg schwere Motorrad zügig nach vor, ihn bis in den Begrenzer auszudrehen macht dagegen nicht wirklich Sinn und Laune.

Schon vor dem ersten Aufsteigen springt dir der Sitz ins Gesicht. Der klassische Schwingsattel sieht nicht nur bequem aus, er ist es auch, selbst auf längeren Etappen. Die Rasten sind relativ weit vorne, dennoch ist man weit von jenen "Verrenkungen" entfernt, die manch Harley oder etwa auch die Ducati Diavel, die ich heuer im Sommer ebenfalls fahren durfte, hervorbeschwören – für einen Cruiser eine relativ sportliche Sitzposition. Womit sich das schicke Retro-Gerät durchaus flott durch Kurven hetzen lässt, wenn einen das relativ frühe Kratzen der Fußrasten nicht weiter stört. Mittels Werkzeug lässt sich der Sattel auch um bis zu 30 Millimeter nach hinten verschieben, was dann wieder dem entspannten "Cruiser-Feeling" entgegen kommt.

Zur sportlichen Fahrweise animiert durchaus auch der Reifen: Die von den britischen Gummispezialisten Avon extra für die Triumph Bonneville Bobber entwickelten Cobra in den Dimensionen 100/90-19 vorne und 150/80-16 hinten entpuppten sich als extrem gutmütig, bieten genug Grip für alles, was das Motorrad kann und sollen auch im Regen wunderbar halten, wovon ich mich leider oder zum Glück nicht selbst überzeugen konnte. Nicht ganz für die Kurvenhatz gemacht sind freilich die Bremsen, die zwar bei "vernünftigem" Betrieb einen ausreichenden Job machen, im Angriffsmodus aber doch an ihre Genzen stoßen.

Auch die bei einer Sitzhöhe von 690 Millimeter naturgemäß überschaubaren Federwege sind eher fürs Cruisen auf guten Straßen gemacht und verrichten dort auch einen wirklich ausgezeichneten Job – am Weg übers Kopfsteinpflaster der Wiener Höhenstraße hält sich das Grinsen unterm Helm dann aber doch im Rahmen. Richtig fesch finde ich das unter dem Sattel liegende umgelenkte Federbein, dank dem sich optisch ganz in Retro-Manier ein starres Heck simulieren ließ. Der Tank ist mit einem Volumen von 9,1 Liter etwas klein geraten, der moderate Verbrauch von rund 4.5 Liter auf 100 Kilometer lässt zwar Reichweiten von knapp 200 Kilometer zu – zwei, drei Liter mehr Sprit an Bord hätten das optisch durch und durch gelungene Bild des Motorrads aber auch kaum getrübt.

Das ist bei der Triumph Bonneville Bobber wirklich bis ins Detail stimmig, womit sich beim Fahren ein ganz eigenes Gefühl an Freiheit und Unabhängigkeit einstellt, bewundernde oder auch neidische Blicke an Ampel und Eissalon inklusive. Aber nicht nur deshalb wird der moderne Youngtimer unter Garantie seine Fangemeinde finden, sondern auch weil er sich im Unterschied zu vielen vergleichbaren Cruisern durchaus aktiv flott bewegen lässt, auch wenn er nicht so anreißt, wie etwa die oben erwähnte Ducati Diavel, die aber schon optisch eine ganz andere Käuferschicht ansprechen wird. Preislich ist man in Österreich ab € 14.900,00 dabei – um sich seine(n?) Bobber persönlich zu individualisieren, lässt der Zubehörkatalog nach oben hin wenig Wünsche offen. 

© 10/2017