In Zeiten wie diesen, in denen Reiseenduros immer stärker, schneller und offenbar auch schwerer zu sein haben, bedarf es schon einigen unternehmerischen Mutes, ein Produkt wie die CCM GP 450 Adventure auf den Markt zu bringen. Denn die prahlt weder mit Pferdestärken, noch mit Beschleunigungswerten oder ausgeklügelten elektronischen Innovationen bzw. Helfern, die allenorts Kaufentscheidungen massiv beeinflussen. Und doch könnte sie genau das sein, was viele Motorradreisende vermissten. Zumindest "von der Stange" gibt es definitiv nichts vergleichbares, leichte Reisegefährten für nahezu jedes Terrain müssen normalerweise erst aufgebaut bzw. den persönlichen Bedürfnissen angepasst werden. Mit 130 Kilogramm fahrfertig und auf den ersten Blick bescheiden anmutenden 40 PS wird rasch klar, worauf die kleine britische Motorradschmiede CCM mit der ab August 2014 zum Verkauf stehenden GP 450 Adventure hinaus will: Ein Motorrad anzubieten, mit dem auch ordentliche Distanzen bequem zu absolvieren sind und dessen Stärken dennoch eindeutig im Offroadbereich liegen, eine Lücke zu füllen, die die großen Hersteller aus Stückzahl-Vorgaben offen lassen. Ich konnte Ende Mai ein Vorserienmodell ausgiebig durch das Hinterland von Bolton bewegen, um herauszufinden, ob diese Vorhaben gelingen können.
Somit stand für mich schon vor der ersten Ausfahrt mit Jack Clews von CCM Motorcycles fest, dass in diesem Test das Pferd andersrum aufgezäumt werden muss, als sonst: Stellt sich nämlich bei praktisch allen anderen Reiseenduros am Markt in erster Linie die Frage, wie weit sie abseits befestigter Wege kommen, so interessiert bei der ganz augenscheinlich offroad-orientierten GP 450 vor allem, wie sie sich auf dem Teerband schlägt. Die Antwort: Recht ordentlich!
Schon nach wenigen Metern wird klar – der bei Kymco in Taiwan gefertigte, aus der BMW X 450 bekannte Einzylinder, der von CCM von 50 auf etwas über 40 PS beschnitten wurde, um reisefreundliche Service-Intervalle von 8000 km (5000 Meilen) zu erzielen, ist alles andere als ein lahmes Triebwerk. Vor allem auf kurvenreichen Landstraßen geht einem selbst bei beherzter Fahrweise nichts ab, auf unserer kurzen Autobahnetappe bzw. auf langen Geraden hätte ich zwar gerne vom fünften Gang weiter zügig hochgeschaltet, aber da war dann eben doch nichts mehr. Rund 95 mph (ca. 150 km/h) zeigte der digitale Tacho, bei dem auf einen Drehzahlmesser verzichtet wurde, zwischenzeitlich aber doch an – mehr, als fast überall erlaubt ist. Als angenehme Reisegeschwindigkeit für Motor und Fahrer würde ich 75 mph (120 km/h) empfinden, da bleiben dann immer noch ein wenig Reserven. Weshalb ich die durchaus vorhandene Möglichkeit, den Motor mittels einem als Extra angebotenen Plug-In zu entdrosseln (womit die Garantie erlischt), eigentlich nicht in Betracht ziehen würde. Es sei denn, es wäre gerade ein Rally-Einsatz geplant, denn auch dafür ist ist GP 450 gewappnet. Der Windschutz ist übrigens hervorragend, bis zu den diesem Motorrad möglichen Geschwindigkeiten sitzt der Fahrer hinter dem verstellbaren Schild und der Verkleidung fast völlig ungestört auf seinem Arbeitsplatz – da bläst's im Cockpit meines Triumph Tigers 800 XC schon ganz anders um den Helm.
Doch "Gasslheizen" im Kampfmodus über enge Landstraßen, wozu die GP 450 allemal in der Lage ist, schön und gut – mit diesem Teil will man trotzdem bei jeder sich bietenden Gelegenheit runter von der Straße. Wozu die Gegend um Salter Fell und dem Through of Bowland nahe Bolton nebst toller Ausblicke ausreichend Möglichkeiten bot. Von einfachen Schotterstraßen über grobes, loses Gestein, feuchte (eh klar, in England) Moorwiesen, Schlamm, Singletrails und Furten war alles dabei, was Offroadfahren so aufregend macht. Hier fühlt sich die CCM naturgemäß am wohlsten, lässt sie sich wie eine (450er) Hardenduro bewegen, wird alles geschluckt, was sich in den Weg stellt. Wozu auch die feinen Bauteile, die ihr serienmäßig verpasst wurden, das ihre beitragen: Unter dem Sitz arbeitet ein Federbein von Tractive wie ich es auch in meinem Tiger verbaut habe, vorne bügelt eine Upside-Down-Gabel von Marzocchi sämtliche Unebenheiten weg. Alles natürlich voll einstellbar, das Federbein auf Wunsch bzw. als Extra sogar elektronisch in drei verschiedenen Abstimmungen.
Mir persönlich reicht dazu freilich der Griff zum Handrad, die beiden Testmodelle, mit denen wir unterwegs gewesen sind, verzichteten ohnedies auf dieses elektronische Schnick-Schnack.
Unterschieden hatten sich die Motorräder in der Sitzhöhe, am Heck und in der Bereifung. Mit dem Standardsitz thront man auf 890 mm, der hohe Sitz schraubt die Sitzhöhe auf stolze 940 mm. Obwohl ich damit natürlich nicht mehr mit beiden Beinen zum Boden langte, was bei einem derart leichten Motorrad aber auch nicht zwingend nötig ist, empfand ich den hohen Sitz nicht nur optisch ansprechender, sondern auch beim Fahren als angenehmer. Auch, weil er punkto Komfort immer noch um einiges bequemer ist, als so manches auf Hard-Enduros verbaute, als Sitz bezeichnete "Brettl" und sich dementsprechend auch ordentliche Distanzen angenehm zurücklegen lassen. Dennoch vermeldete das Popometer nach jedem Umstieg auf das Modell mit dem Standardsitz ein Gefühl, als nehme man auf einem Sofa Platz – auch nicht zu verachten! Für kleingewachsene Fahrer bzw. jene, denen der Bodenkontakt wichtig ist, besteht zudem die Möglichkeit, die GP 450 schon ab Werk mit einem um ganze 10 Zentimeter tiefergelegten Fahrwerk zu ordern, was die Sitzhöhen dann auf 790 bzw. 840 mm reduziert.
Herzstück des Motorrads ist zumindest in den Augen des Herstellers das sogenannte "Bond Lite Chassis", der mittels modernster 3D CAD-Techniken aus 13 miteinander verschraubten Einzelteilen gefertigte Aluminium-Rahmen. "Er wurde zwei Jahre lang unter härtesten Rennbedingungen erprobt", erläutert Austin Clews, Technischer Direktor bei CCM Motorcycles, "und was im Motocross-Einsatz besteht, sollte auch den Ansprüchen von Motorradreisenden genügen." CCM hat in diesen beiden Jahren einen britischen Indoor-Meistertitel sowie einen zweiten Platz bei den offenen britischen Motocross-Meisterschaften feiern können, "ohne dass wir auch nur einmal einen Rahmen ausgetauscht hätten", sagt Clews nicht ohne Stolz.
Als Serienbereifung hat man sich nach derzeitigem Stand der Dinge für den Dunlop Trailmax entscheiden, meiner Meinung nach nicht die beste Wahl. Weil der straßenlastige Gummi den Möglichkeiten dieses Motorrads offroad nicht annähernd gerecht und wohl mehr als jeder zweite Käufer, der sich für solch ein Gefährt entscheidet, bald umrüsten wird. Wenn man schon aus verständlichen Gründen keinen "Hardcore"-Crossreifen aufzieht, so würde der GP 450 Adventure doch ein "Kompromissreifen" vom Schlage eines Mitas E-09, Conti TKC 80 oder auch Heidenau K 60 Scout bzw. Metzeler Karoo 3 doch besser zu Gesicht stehen. Und wenn wir schon bei Kritikpunkten sind: Die Platte im Cockpit, auf der der Tacho verbaut ist, vibrierte bei gewissen Drehzahlen, was vor allem bei der Maschine mit dem montierten Navi unangenehm bemerkbar wurde – ein Problem, dass CCM bekannt ist und das bis zum Serienstart behoben sein soll.
Die Bremsen (vorne beisst eine 320er-, hinten eine 240-mm-Scheibe zu, jeweils von Brembo) sind in Ordnung, natürlich nicht so giftig wie bei einem Supersportler – aber das wäre in Anbetracht des offroadlastigen Einsatzbereiches auch kontraproduktiv. In drei miteinander verbundenen Tanks (zwei vorne und einer hinten), die von hinten befüllt werden, finden 18 Liter Sprit Platz, mit dem das Motorrad bei einem Verbrauch von rund 4,5 Liter/100 km knapp 400 Kilometer weit kommt, ein guter Wert für eine Reiseenduro.
Wer so weit fahren kann, will natürlich auch dementsprechend Gepäck mitnehmen – auch hier wird man bei CCM je nach individuellen Präferenzen bedient. Für Liebhaber eines Koffersystems stehen drei maßgeschneiderte Aluboxen zum Verkauf, ich würde bei dieser sportlichen Enduro jedoch das ausgeklügelte, ebenfalls wasserdichte, dreiteilige Soft-Gepäck (bestehend aus einer Satteltasche und zwei darauf zu befestigende Top-Taschen) bevorzugen, das in Schwarz und einem Ocker-Ton (Bilder unten) angeboten wird.
Wie kommt man nun zu seiner CCM, speziell als Mitteleuropäer? Seit die GP 450 Adventure im November 2013 auf der britischen NEC Motorcycle Live Show vorgestellt wurde, ist schon einiges Wasser die Donau hinuntergeronnen, zum Zeitpunkt meines Tests im Mai 2014 befand sich gerade ein Exemplar in Deutschland, um die europäische Homologation zu erlangen. Seit Spätherbst 2014 wird das Motorrad in England angeboten, mittlerweile gibt es Vertretungen in Deutschland, der Schweiz (Ernst Wilhelm Häusler,Breitensteinstrasse Nr.58,Postfach 312,CH-8037 Zürich), Polen oder Italien, in Österreich hat sich auch 2016 noch kein Händler gefunden, weshalb für Interessenten nach wie vor nur der Eigenimport bleibt.
Fazit:
Weniger ist manchmal wirklich mehr. Was ich gleich zu Beginn als Arbeitstitel einfach so hingeschrieben hatte, wurde mir mit jedem gefahrenen Kilometer bzw. noch am Flughafen ins Mac Book getippten Wort bewusster: Zumindest was das Reisen abseits befestigter Wege betrifft, ist jedes Minus an Gewicht ein Plus an Fahrspaß. Der ewige Kompromiss der Reiseenduro scheint mit der GP 450 Adventure ein gelungener, wenn der Fokus eindeutig auf Offroad gelegt wird. Ich würde meinen Tiger (bzw. eine vergleichbare große Reiseenduro) nicht tauschen wollen, zu sehr schätze ich seinen Einsatzbereich, fürs Endurowandern übers verlängerte Wochenende oder auch die Fernreise in die Mongolei sehe ich derzeit aber zumindest von der Stange nichts vergleichbares – da die aus dem Offroad-Rennsport kommende Firma CCM nur edle Teile verbaut hat, kann man wirklich aufsteigen und losfahren. Hand aufs Herz: Würde KTM draufstehen, hätte ich sie wohl bereits (neben dem Tiger) in der Garage stehen.
© 05/2014
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Mark Twain
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