"Und, wie fährt sich das Ding?" Selten noch wurde ich derart oft auf mein Fahrzeug angesprochen, wie in den acht Tagen mit dem neuen X-ADV von Honda. Ältere Herren drehten genauso Kreise um ihn wie Jugendliche und Kinder, an der Ampel heimste er immer wieder neugierige Blicke der anderen Verkehrsteilnehmer ein. Klar. Sieht man auch (noch) eher selten, so eine Mischung aus Roller und Offroader. "Fahr mit mir die Dakar!", schreit er dir förmlich ins Gesicht, wenn er so vor dir steht mit seinen geschlossenen Handprotektoren am breiten Lenker, Speichenrädern und der sportlichen HRC-Rallylackierung von der Africa Twin…
…bzw. weckt "drohend" die Erinnerung an Begegnungen wie jene im September 2016, als uns und unseren High-Tech-Enduros irgendwo in den albanischen Bergen auf durchaus selektiver Schotterstrecke plötzlich Einheimische zu zweit auf einem alten Roller entgegen gekommen sind.
Technisch basiert der X-ADV auf dem Integra-Roller, der 745-Kubik-Paralleltwin leistet 55 PS und ein sattes Drehmoment von 68 Nm bei 4750/min. Marketingtechnisch ist er auf der Website von Honda neben Africa Twin, 250er Rally & Co. unter den "Adventure"-Modellen platziert. Optisch ein Roller, sehen die Japaner das Zweirad-SUV als vollwertiges Motorrad. Wobei das ADV gleichermaßen für Adventure und advanced steht – das fortgeschrittene, zukunftsweisende Abenteuer sozusagen. Wie ernst es Honda mit dem Gedanken bzw. völlig neuen Konzept meint, zeigt der Blick ins Detail: Neben schicken Speichenrädern (vorne 17, hinten 15 Zoll) und in ihrer Federvorspannung einstellbarer Upside-Down-Gabel hat man dem Fahrzeug auch ordentliche Federwege von 153,5 mm vorne und 150 mm hinten sowie eine Bodenfreiheit von satten 162 Zentimetern verpasst. Einzigartig in der Rollerwelt und extrem hilfreich, wenn man befestigte Straßen verlässt. So wie die stattlichen Bremsen aus der Africa Twin. Wie gut diese verzögern bzw. auch das (nicht wegschaltbare) Zweikanal-ABS funktioniert, durfte bzw. musste ich bei einer Begegnung mit einem etwas (zu) sorglosen Traktorfahrer selbst erfahren: Top!
Dank Keyless-System bleibt der Schlüssel im Hosensack – der X-ADV erkennt, dass man ihn dabei hat: Einfach den Schalter, mit dem sich auch die Lenkradsperre aktivieren lässt, nach rechts drehen und den Startknopf drücken. Die Knöpfe darunter dienen zum Öffnen von Tankdeckel bzw. 21-Liter-Staufach unter der Sitzbank. Dort findet ganz Roller-Like ein Integralhelm Platz, oder auch der Einkauf fürs Wochenende, wartet eine 12-Volt-Ladebuchse darauf, Handy, Actioncam etc. aufzuladen. Die Sitzhöhe beträgt zwar "nur" 820 mm, durch die recht breite Bank wird man aber schon gute 1,80 Meter messen müssen, um mit beiden Fußsohlen auf den Boden zu gelangen. Wem dies wichtig ist, der sollte sich vielleicht die niedrigere Variante (790 mm) ansehen. Bei mir und meinen 1,76 blieb jedenfalls unter den Fersen Spielraum.
Aber fahren wir los! Das immer noch Honda-exklusive Doppelkupplungsgetriebe (DCT) hat mittlerweile einen Reifestatus erreicht, der keinerlei Wünsche offen lässt. Aus den vier verschiedenen Programm-Modi (Drive bzw. Sport 1, 2 und 3) sollte jeder seinen Favoriten finden – meinen Schaltgewohnheiten kommt Sport 3 am nächsten. Dass ich auf den rund 1000 Kilometern, die ich mit dem X-ADV zurück gelegt habe, vielleicht fünf-, sechsmal manuell mit den Wippen am linken Lenker korrigierend eingegriffen hatte, lag mehr an Testzwecken denn wirklicher Notwendigkeit. Bei schnellem Gasgeben erkennt das System, was der Fahrer will und schaltet flott zurück, beim konzentrierten Ampelstart in der Stadt kennt der X-ADV sowieso (fast) keine Gegner.
Auch sonst fährt sich das Teil auf der Straße richtig gut, lässt sich dank des 17-Zoll-Vorderrads wie ein Motorrad durch Kurven jeglicher Radien zirkeln und läuft auch bei höheren Geschwindigkeiten ruhig und stabil in die vorgegebene Richtung. An das Geräusch, dass der Hauptständer (vornehmlich beim Fahren zu zweit) bei flotteren Kurven regelmäßig aufsitzt, gewöhnt man sich – man könnte dem aber entgegen wirken, indem man den recht lange geratenen "Angstnippeln" einfach mit der Flex zu Leibe rückt. Die größte und "schmerzhafteste" Umstellung unterwegs betraf eher die Seele: In etwa die Hälfte der entgegenkommenden Biker haben mein Heben der Linken nicht erwidert – was mich einmal mehr darin bekräftigt, jeden zurückzugrüßen, der mich unterwegs grüßt…
…doch genug des kurzen Exkurs' in die eigenwillige Psyche von uns Motorradfahrern.
Spannend war für mich auch das Finden der richtigen bzw. angenehmsten Fußposition. Nach vorne ausgestreckt in Chopper-Manier (Bild 1) ist definitiv nicht meines, speziell in den Kurven; Roller-mäßig normal auf dem Trittbrett abgestellt (Bild 2) wenn überhaupt dann nur im Stadtverkehr; spätestens wenn es auf die Landstraße ging, rutschten meine Schuhe aber praktisch immer ans hintere Ende des Trittbretts (Bild 3), weil ich so am aktivsten fahren kann und diese Position vom Motorrad gewöhnt bin; bei kniffligeren Offroad-Passagen bin ich ab und an auch schon mal aufgestanden (Bild 4), allerdings ist da am Trittbrett die Gefahr doch relativ groß, dass man abrutscht. Weshalb ich jedem, der öfter mal auch Abwege sucht, die im Zubehör angebotenen "Offroad-Rasten" von Rizoma ans Herz legen würde. Leider sind diese, die zum Teil ja bereits auf den X-ADVs beim offiziellen Presse-Launch montiert gewesen sind, derzeit (Mai 2017) noch nicht verfügbar und war auch das Testmotorrad damit nicht ausgestattet.
Dennoch traue ich mir ein Urteil über die Offroadfähigkeiten der Honda bzw. ihre Qualitäten auf unbefestigten Wegen zu. Feldwege stellen überhaupt kein Problem dar, auch gröberer Schotter bringt die für einen Roller großzügig dimensionierten Federelemente nicht ins Schwitzen, das Kopfsteinpflaster der Wiener Höhenstraße entlockt dem Fahrer sowieso nur ein breites Grinsen unterm Helm, selbst Furten bzw. kleinere Bachdurchfahrten sind (bei moderatem Tempo) kein Problem. Die ab Werk serienmäßig aufgezogenen Trail Wing von Bridgestone machen ebenfalls einen guten Job, sowohl auf als auch abseits der Straße. Geht es dort allerdings beherzter zu Gange, dann neigt das Fahrwerk doch zum Durchschlagen, muss auch der pfiffige X-ADV zur Kenntnis nehmen, dass er keine Enduro ist.
Punkto Windschutz muss sich die Honda freilich vor kaum einer Reiseenduro verstecken, dazu lässt sich die groß dimensionierte Scheibe bequem und einfach per Hand in Neigung bzw. Höhe verstellen. Bei Scheinwerfern und Blinkern ist LED-Technik State of the Art. Am übersichtlichen Display lassen sich alle relevanten Informationen, vom Durchschnittsverbrauch über den Trip-Zähler bis zum gewählten DCT-Modus oder dem gerade per Geisterhand eingelegten Gang, alles gut und übersichtlich ablesen – perfekt im Blickfeld hinter der Scheibe montiert. Ein etwaiges Navi müsste dann allerdings an den Lenker und ergo aus dem Blickfeld wandern. Alle Komponenten wirken Honda-typisch hochwertig, von den fast "unsichtbar" wegzuklappenden Sozius-Fußrasten bis zur massiven Alu-Hinterradschwinge. Die umfassende Ketten-Abdeckung könnte beim Spielen im Dreck in Mitleidenschaft gezogen werden, aber im Gatsch zu wühlen ist letztlich auch nicht das Metier des X-ADV.
Das neue Zweirad-SUV von Honda ist vielmehr ein rundum gelungenes Lifestyle-Fahrzeug, das den Großstadtdschungel genauso souverän meistert, wie die Fahrt über den Feldweg zum Badeteich oder durchaus auch härtere Schotterpassagen rauf zur Berghütte. Mit Fahreigenschaften, die vielen Motorrädern um nichts nachstehen und einem dennoch äußerst moderatem Verbrauch. Der errechnete Schnitt im Test lag mit 4,3 Liter auf 100 Kilometer zwar etwas über jenem, den der X-ADV am Display anzeigte (4,1 L), in Verbindung mit dem 13,1-Liter-Tank lässt das aber immer noch ordentliche Reichweiten von rund 300 Kilometer pro Tankfüllung zu. Und bei zurückhaltender Fahrweise bzw. im Fahrmodus D erscheint mir auch der von Honda angegebene Verbrauch von rund 3,5 Liter machbar.
"Die schicke Lösung mit den eleganten Fußrasten gefällt mir sehr gut, ebenso die zweifarbige Sitzbank, die obendrein auch richtig bequem ist. Allerdings stört mich dieser ungewohnte Höcker doch ein wenig. Dazu kommt, dass der Kniewinkel nicht so angenehm wie etwa bei der Africa Twin ausfällt – weshalb längere Touren für mich auf einer Reiseenduro doch angenehmer sind als mit dem X-ADV, der aber definitiv ein schickes Teil für Tagesausflüge ist. Unterm Strich gibt's von mir drei von fünf möglichen Wölfen."
* Legende
Fazit:
Der eingangs angedeutete Albtraum des modernen, rundum ausgestatteten Adventure-Bikers nimmt mit dem neuen X-ADV zwar etwas konkretere Formen an – noch aber muss man sich vor der Albanienreise nicht schweißgebadet im Bett drehen beim Gedanken, ein Rollerfahrer könnte locker an einem vorbei cruisen, während man selbst noch überlegt, wie man da jetzt seine all-inclusive-GS drüber manövriert. Da wäre ja schließlich davor auch noch der Preis von in Österreich € 12.290,-- als Hindernis zu überwinden. Ein Tarif, um den man auch schon eine ausgewachsene Reiseenduro bekommt, die dann unterm Strich abseits unserer asphaltierten Zivilisation doch mehr kann.
Um mich nicht falsch zu verstehen: Honda hat da mit dem X-ADV wieder einmal etwas innovatives auf die Räder gestellt, das völlig neue Wege befährt, Spaß macht, gut ausschaut und dank hochwertiger Komponenten mit Fahreigenschaften aufwartet, die weit über den bisherigen Horizont eines Rollers hinausgehen. Motorradfahren ist aber auch Emotion und bei mir persönlich konnte der X-ADV diese nicht in jenem Maße wecken, wie das ein "echtes" bzw. herkömmliches Motorrad tut. Wenn jemand aber ein trendiges Gefährt sucht, mit dem er an der Eisdiele nicht halt machen muss, sondern viel, viel weiter fahren kann, dann ist der Offroaller von Honda eine gute (vielleicht sogar beste) Wahl. Die Woche damit hat mir jedenfalls richtig gut gefallen und ich bin schon sehr gespannt, wie mein neuer Freund vom Markt angenommen wird.
© 05/2017
Mein neuer Helm:
Seit März fahre ich mit dem Touratech Aventuro Pro Carbon Jetzt bereit zur Anprobe & Testfahrt bei www.touratech.at
bzw. im Shop in Baden!
Kontakt:
Reisen ist tödlich
für Vorurteile.
Mark Twain
Unter Motorradfahrern gibt es keine Fremden - nur Freunde, die man noch nicht getroffen hat.
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