Selten noch habe ich um eines meiner Testmotorräder soviele Leute herumschleichen sehen, wenn ich ihm mal eine Pause gönnte. Ja, mehr als das: Manch einer kniete sich hin, um Details näher zu betrachten, andere "streichelten" über die Sitzbank, nicht selten nahm einer sein Handy aus der Tasche, um ein Foto zu machen. Kurz: Die Optik der Husqvarna Vitpilen 701 lässt kaum einen kalt, sticht aus der Masse an Motorrädern heraus. Elf Tage oder knapp 1200 Kilometer war ich im September 2018 mit dem Single unterwegs – lange genug für einen ausführlichen Test. Dass meine Eindrücke hier auf Bike on Tour dennoch lediglich als "Kurztest" zusammengefügt sind, liegt einzig und allein an der Tatsache, dass es sich bei der Vitpilen weder um ein Reisemotorrad, noch um eine Enduro handelt. Was dem Fahrspaß jedoch keinerlei Abbruch tat – ganz im Gegenteil…
Simple. Progressive. So bezeichnet Husqvarnas Marketing-Abteilung recht treffend ein Motorrad, das nur schwer in eine der gängigen "Kategorien" einzuordnen ist. Ein Naked-Bike, das mit dem Stummel-Lenker auch ein wenig vom klassischen Cafe Racer hat, mit seinen innovativem Design-Elementen aber völlig eigenständig und modern dasteht und man daher auch nicht wirklich als Retro-Bike bezeichnen kann. Reduziert aufs Wesentliche verzichtet die Vitpilen auf jeglichen Schnick-Schnack und ist dennoch bis ins Detail stimmig und innovativ. Das beginnt bei harmonisch ins Bild passendem Scheinwerfer und Rund-Instrumenten, setzt sich beim eigenartig gewölbten Tank fort und findet im schlanken, frei schwebenden Heck einen weiteren Höhepunkt. Ein Hingucker.
Doch Aussehen ist nur eine Seite der Medaille, die wichtige(re) Frage: Wie fährt sich das Teil? Die Antwort darauf gibt zum Teil ja schon das Aggregat, von dem es angetrieben wird. Der bei KTM seit jeher als LC4 bekannte Single, der ja auch schon in den beliebten 701 Enduro- und Supermoto-Modellen von Husqvarna zum Einsatz kommt, besticht in seiner aktuellsten Ausbaustufe durch eine Laufruhe, die man als alter LC4-Fan nie und nimmer für möglich gehalten hätte und ist mit 75 PS sowie einem Drehmoment von 72 Newtonmetern der stärkste Einzylinder am Markt. Da scheppert (fast) nichts mehr, und doch hat der Motor nichts von seinem Charakter eingebüßt, will er auf Drehzahl gehalten werden, um ihn wirklich zu "verstehen". Es ist jedenfalls immer wieder aufs neue erstaunlich, wie brachial dieser Murl anreißt, wenn man ihn hoch genug dreht und ihn damit in seinem Element loslässt, dass Kollegen mit weitaus PS-stärkeren Motorrädern Mühe haben, Schritt zu halten.
Speziell im kurvigen Geläuf fühlt sich die Vitpilen (schwedisch, was zu Deutsch weißer Pfeil heißt), ähnlich wie ihre Duke-Schwestern aus dem Hause KTM, am wohlsten. Spielerisch lässt es sich mit ihr in noch so enges Winkelwerk eintauchen, bei schnellen, langgezogenen Kurven verlangt sie aber doch nach einem etwas kräftigerem Lenkimpuls. Wer wie ich eine Duke sein Eigen nennt, wird sich ein wenig an Lenker und die dadurch "gebücktere" Sitzposition gewöhnen müssen, die bei langsamen Geschwindigkeiten ein wenig auf die Handgelenke drückt. Ab dem Modelljahr 2019 wird es von der 701er aber auch eine Svartpilen (schwarzer Pfeil) geben, die mit ihrem enduromäßigem Lenker dann auch mit einer aufrechteren Sitzposition aufwarten kann.
Die Serienbereifung ist mit dem Battlax S21 von Bridgestone ausgezeichnet gewählt. Ein Gummi, der – sobald auf Temperatur – bis an die letzte Rille hält, durch ein sehr neutrales, präzises Einlenkverhalten besticht und (wie ich letztes Jahr mit der Yamaha Tracer 900 feststellen musste) für einen derart sportlichen Reifen auch im Regen passabel funktioniert. Dass die Vitpilen 701 keine Poser- sondern eine Fahrmaschine ist, unterstreichen auch die verbauten Komponenten. Das Fahrwerk von WP Performance Systems (135 mm Federweg vorne wie hinten) ist von Werk aus eher komfortabel eingestellt, weshalb auch die Fahrt über des Kopfsteinpflaster der Wiener Höhenstraße keine Qual ist, steckt aber auch sportliche Gangart gut weg und lässt sich bei Bedarf mit wenigen Handgriffen individuell an die eigenen Bedürfnisse anpassen. Das Federbein ist über eine Umlenkung mit der Schwinge verbunden, vorne arbeitet eine 42-mm-Upside-Down-Gabel. Verzögert wird das Motorrad von einer 32er vorne sowie von einer 24er Brembo-Scheibe hinten – nicht zu aggressiv, aber gut kontrollierbar, wozu auch das (abschaltbare) ABS von Bosch seinen Teil beiträgt.
Der elektronische Gasgriff (ride by wire) ist ebenso am letzten Stand der Technik wie die serienmäßige Traktionskontrolle, auf Fahrmodi verzichtet die Vitpilen gemäß ihres Grundgedanken der Einfachheit. Dafür wird die sportliche Note des Motorrads noch vom serienmäßigen Quickshifter unterstrichen, mit dem das Rauf- und Runterschalten fast zur Sucht wird, auch wenn er nicht ganz so perfekt funktioniert wie in der 790 Duke, mitunter zwischen viertem und fünftem Gang schon mal "hakelte". Das mag aber auch daran liegen, dass beim neuen LC8c erstmals ein Quickshifter zusammen mit dem Motor entwickelt worden ist. Insgesamt macht das Schalten ohne Kupplung mit der Husky verdammt viel Spaß. Mit einer Sitzhöhe von 830mm thront man auf der Husqvarna übrigens höher, als es den Anschein hätte, die schlanke Bank ist zwar kein Inbegriff an Komfort, bietet aber gute Bewegungsfreiheit für sportliche Fahrweise und lässt einen auch lange Ausfahrten überstehen, ohne dass der Allerwerteste schmerzt. Natürlich ist das Motorrad in erster Linie für den Ritt alleine gedacht, der auf den ersten Blick als Sitzabdeckung "getarnte" kleine Sozius-Sitz erlaubt es aber auch, jemanden mitzunehmen. Zwar würde es bei MELs Sozia-Check lediglich für einen Wolf reichen, der Weg zur Eisdiele oder raus aus der Stadt an den Baggersee ist aber kein Problem. Und für den Urlaub zu zweit wird man sowieso zu einem anderen Motorrad greifen, so man seiner Liebsten auch Abends in die Augen schauen will.
Husqvarnas Vitpilen 701 hat ganz andere Stärken. Zum einen ist sie wie erwähnt ein Hingucker, der sich aber nicht nur vor der Eisdiele gut macht, sondern obendrein ganz vorzüglich fahren lässt. Durch ihre Wendigkeit natürlich auch im Stadtverkehr, wobei langsame Geschwindigkeiten bzw. niedrige Drehzahlen trotz des gegenüber vergangener Tage merkbar gesteigerten Komforts immer noch nicht das Metier des ebenso ausgereiften wie punkto Leistung wohl auch ausgereizten Einzylinders sind. Am wohlsten fühlt sich das Motorrad auf der Landstraße, je kurviger desto besser – da lassen sich auch Hubraum- und PS-stärkere Konkurrenten herbrennen. Wobei man sich in das Äußere wohl schon verlieben muss, um die inneren Werte auf Dauer zu schätzen. Denn das alles hat auch seinen Preis, die Schönheit lässt sich Husqvarna bezahlen: 11.298 Euro kostet der Single Dank Nova in Österreich, das sind 2.300 Euro mehr als eine von den Fahrleistungen vergleichbare, mit demselben Motor ausgestattete 690 Duke von KTM, selbst die 790 Duke mit dem neuen Parallel-Twin gibt es schon um drei Hunderter weniger. Dafür besitzt man dann aber auch ein Motorrad, das nicht jeder hat. Neidische Blicke vor dem Eissalon oder in der Kalten Kuchl inklusive. Und obendrein bieten die österreichischen Schweden auch noch eine schicke Bekleidungslinie zur Vitpilen an, mit der man den "modernen Lebensstil" noch einmal zusätzlich unterstreichen kann...
© 09/2018
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