Kawasaki Versys 1000 SE • Modelljahr 2019

Komfortabel, sicher und sportlich ans Ziel

Wenn man von Reiseenduros spricht, dann fällt zumindest in meinem Umfeld nur äußerst selten der Name von Kawasakis großer Versys. Liegt zum einen natürlich daran, dass sie nicht wirklich für abseits befestigter Straßen gedacht ist und zum anderen wohl am doch recht hohen Gewicht von 257 Kilo fahrfertig. Zumindest letzteres spürst du aber überhaupt nicht, sobald du fährst – wovon ich mich acht Tage lang auf den unterschiedlichsten Strecken ausführlich überzeugen konnte.

Fürs Modelljahr 2019 hat Kawasaki seinen "Adventure Tourer" Versys 1000 rundum erneuert. Grund genug, mir erstmals seit 2012, wo ich die damals frisch erschienene Vierzylinder-Reiseenduro bereits für die "Kronen Zeitung" getestet hatte, wieder eine zu holen. Schließlich ist in acht Jahren viel Wasser die Donau runtergeronnen, speziell was die Entwicklung von Komfort- und Sicherheitsfeatures  anbelangt. Und in diesen Bereichen will die neue Versys zu den Top-Reisedampfern der Konkurrenz aus Europa, von BMW über KTM, Ducati bis hin zu Triumph, aufgeschlossen haben.

Zum Vergleich: Kawasaki Versys 1000 im allerersten Modelljahr 2012…

…und jetzt im Modelljahr 2019, jeweils ausgiebig vom Wolf getestet:

Dafür kommt sie auch wirklich rundum ausgestattet daher, speziell die SE-Variante hat so ziemlich alles an Bord, was gut und teuer ist. Neben Ride-by-Wire, Tempomat, Kurven-ABS, Traktionskontrolle oder LED-Beleuchtung, was alles schon auch im Standard-Modell mit dabei ist, erhielt das Top-Modell obendrein ein semiaktives Fahrwerk, Quickshifter, Kurvenlicht, vier Fahrmodi, Heizgriffe oder ein wunderbar ablesbares TFT-Farbdisplay, das im Zusammenspiel mit der "Rideology"-App zur Kommunikationszentrale wird, wo man übers Smartphone nicht nur sämtliche Funktionen steuern, sondern auch die verschiedensten Infos wie maximale Schräglage etc. abrufen kann…

Das elektronisch verstellbare, semiaktive Fahrwerk lässt sich hinten in der Federvorspannung per Knopfdruck für Solobetrieb, Solobetrieb mit Gepäck und Zweipersonenbetrieb mit Gepäck voreinstellen und reagiert binnen Millisekunden auf den Fahrbahnzustand, um die Dämpfung jederzeit zu optimieren. Das funktioniert in der Praxis beispielhaft, je nach gewähltem Fahrmodus bügeln die vorhandenen Federwege von 150 Millimeter vorne und 153 Millimeter hinten Unebenheiten unterschiedlich straff weg, wobei Komfort bei der großen Versys groß geschrieben wird.

Die Fahrmodi von Rain über Road bis hin zu Sport stufen diese Bequemlichkeit gut spürbar ab und dosieren neben der Intensität der Traktionskontrolle auch das Ansprechverhalten des Triebwerks von sanft bis eben sportlich – und auch von Letzterem verstehen die Grünen einiges, weshalb der Sportmodus in der gemeinsamen Woche mein absoluter Favorit gewesen ist. Wobei man sich da angesichts des Angebots der Konkurrenz in diesem Top-Segment, speziell von Ducati oder KTM, manchmal vielleicht sogar noch ein wenig mehr als die 120 PS unterm Sattel wünschen würde – einen entsprechenden Motor hätte Kawasaki ja ohnehin im Portfolio. Wobei schon der 1043-cm3-Reihenvierzylinder der Versys 1000 mit seinen 102 Newtonmetern Drehmoment und ein richtig durchzugsstarkes Aggregat ist, das mit einem seidigen Lauf besticht und kaum Wünsche offen lässt.

 Der vierte Fahrmodus (Rider) ist frei konfigurierbar, die einzelnen Parameter von der Federung über Gasannahme bis hin zum Eingreifverhalten der Traktionskrontrolle auf die individuellen Vorlieben abstimmbar. Bedienen lässt sich alles bequem und intuitiv über die Tasten am linken Lenker, auf dem sich auch der Tempomat einstellen lässt.

Keinerlei Kompromisse geht Kawasaki bei den Bremsen ein. Vorne sind zwei 310 mm Scheiben hinten ist eine 250 mm Scheibe im Einsatz – wunderbar dosierbar, weder zu aggressiv noch schwammig. Und natürlich mit Kurven-ABS bzw. dem aus der Ninja H2 übernommenen KIBS (Kawasakis intelligentes ABS) ausgestattet, das hier auf die längeren Federwege angepasst wurde – inklusive des KCMF genannten Kurvanmanagements, mit dem die Elektronik von der Kurveneinfahrt über den Scheitelpunkt bis hin zur Ausfahrt Bremskraft und Motorleistung moduliert. Spürt man nicht, trägt aber womöglich dazu bei, dass man die Fuhre noch einen Tick sicherer ums Eck dirigieren kann. 

Im Zusammenspiel mit dem sehr gut funktionierenden Quickshifter lässt sich die Versys 1000 SE wie erwähnt sportlich bewegen, ihre Stärken spielt sie aber in erster Linie als Reise- bzw. Tourenbike aus. Straßen unterschiedlichster Qualitäten sind dank des tollen Fahrwerks kein Problem, auch (einfache) Schotterstraßen habe ich ihr in unserer gemeinsamen Zeit nicht erspart – schließlich nennt Kawasaki das Motorrad ja Adventure Tourer. War kein Problem, auch wenn man sich in der Praxis mit der Versys jetzt nicht groß auf die Suche nach unbefestigen Wegen machen wird. 

Kniewinkel und Sitzposition sind angenehm entspannt, die Sitzbank bequem genug selbst für wirklich lange Etappen, auf denen auch der Beifahrer kaum meckern wird. Zumindest die beste Sozia wo gibt war vom Komort auf der Versys richtiggehend angetan und wollte selbst in den (ohnehin spärlich gesäten) Fahrpausen gar nicht mehr absteigen…

 

"Ui sitzt man da hoch! Und vor allem bequem. Man fühlt sich irgendwie sehr sicher am Sozius-Sitz dieses Motorrads, auch wirklich lange Etappen sind überhaupt kein Problem. Weil neben der gut gepolsterten Bank auch der Kniewinkel entspannt ist. Dazu hat wirklich jeder ausreichend Platz – und ich weiß gar nicht, was der Wolf  immer gegen ein Top-Case hat, die Rückenlehne ist ein zusätzliches Komfort-Feature. Wir werden reden müssen... und für die Kawasaki gibt es von mir inzwischen fünf von fünf möglichen Wölfen."


Bei der Serienbereifung setzt Kawasaki auf den Bridgestone Battlax T31 – ein komfortabler, alltagstauglicher Touren-Gummi, der dem Wesen des Motorrads gut entspricht.

Der Testverbrauch von knapp über 6 Liter auf 100 Kilometer ist den Fahrleistungen entsprechend und lässt in Verbindung mit dem 21-Liter-Tank Reichweiten von plus/minus 350 Kilometer zu. Das ohne Werkzeug vom Fahrersitz aus stufenlos in seiner Höhe verstellbare Windschild wird man unterwegs zu schätzen wissen. Und mit dem optisch gut zum Motorrad passenden Kofferset des Grand Tourer Pakets, in dem auch eine GPS-Halterung, Handschützer, eine zusätzliche 12-Volt-Steckdose oder die LED-Zusatzscheinwerfer enthalten sind, ist die Kawasaki Versys 1000 SE  bereit für die große Reise. Allerdings treibt das dann auch den ohnehin schon stolzen Anschaffungspreise von in Österreich 19.999,00 Euro in richtige Oberklasse-Dimensionen. Wer jedoch auf dieses wirklich gelungene elektronische Fahrwerk und andere Gimicks verzichten kann, erhält bereits mit der Standard-Versys schon ab 16.199,00 Euro ein Reisemotorrad mit einem wunderbaren (Vierzylinder)-Motor und sehr viel Komfort für zwei Passagiere.


+ Fahrwerk und Bremsen werden auch sportlichen Ansprüchen gerecht

+ Der Vierzylindermotor  ist durchzugsstark wie drehfreudig und besticht durch seinen seidigen Lauf 

+ Komfort und Ergonomie sind für Fahrer und Beifahrer beispielhaft

– Die Leistung von 120 PS fällt in dieser Fahrzeugklasse im Vergleich zur Konkurrenz doch ein wenig ab 

– Das Gewicht von knapp 260 Kilo ist beim Rangieren eine Herausforderung

– Der Preis der SE-Version mit Koffern etc. ist schon richtige "Oberklasse" 



Fazit:

Natürlich ist die Kawasaki keine Reiseenduro im klassischen Sinn – will sie auch gar nicht sein. Für all jene, die auf ihren Touren aber vornehmlich auf der Straße bleiben, ist der große "Adventure Tourer" eine wirklich ernsthafte Alternative zu BMW 1250 GS, Triumph Tiger 1200, Ducati Multistrada 1200, KTM 1290 Adventure & Co…

...und obendrein mit ihrem 17-Zoll-Vorderrad handlicher als manch Konkurrent unter diesen großen Reisemotorrädern. Dank großzügiger Federwege und dieses hervorragend arbeitenden elektronischen Fahrwerks ist die rundum mit Sicherheitsfeatures vollgestopfte Versys 1000 SE jedenfalls ein Motorrad, das einen komfortabel, sicher und auf Wunsch auch sportlich am Ziel ankommen lässt – ganz egal, wie der Zustand der Straßen dorthin auch ist. Speziell für die Reise zu zweit ein echter Tipp!

© 08/2019