KTM 1090 Adventure R • Modelljahr 2017

Mehr Reiseenduro braucht man nicht

Mit der 950 und später dann 990 Adventure setzte KTM einst Maßstäbe, was die Geländetauglichkeit von großen Reiseenduros betrifft. Nach relativ kurzen Zwischenspielen mit 1190 und 1050 Adventure haben sie in Mattighofen nun offenbar ihre Nomenklatur gefunden. Ganz oben thront die 1290 Adventure in gleich drei verschiedenen Ausführungen, am unteren Ende bald die 790 Adventure und als goldene Mitte eben die 1090 Adventure. Ich hatte zwei Wochen lang das Vergnügen, mit der 1090 R ausgiebig unterwegs zu sein. Eine mehr als würdige Nachfolgerin für die 950, auf der Fabrizio Meoni immerhin die Dakar gewonnen hat, nur um hier kurz anzumerken, was für Strecken mit solchen Motorrädern möglich wären.

125 PS und 109 Newtonmeter Drehmoment leistet der 1050 ccm starke Motor in der KTM 1090 Adventure R. Das sind zwar um 25 Pferde bzw. 16 Nm weniger als die 1190 R als "Vorgängermodell" zur Verfügung hatte, aber immer noch ausreichend bzw. in meinen Augen mehr als genug für nahezu jede erdenkliche Lebenslage. Noch dazu, wenn unter dem Tank ein Triebwerk wie dieser LC8 arbeitet, das derart kraftvoll zur Sache geht und praktisch immer satt am Gas hängt, womit man auch bei der Fahrt zu zweit stets Kraftreserven unterm Hintern hat.

Die unterschiedlich gezügelt auf die Straße gebracht werden können. Vier Fahrmodi stehen zu Verfügung,  im Sport- und Street-Modus hat man jeweils die vollen 125 PS am Hinterrad, bei Rain und Offroad sind es deren "nur" knapp 100. Einzustellen sind sie über die "Schaltzentrale" am linken Lenker, wobei man sich mit der KTM-typischen Bedienung recht rasch zurecht findet und auch im Fahren (immer bei geschlossenem Gasgriff, wozu man am übersichtlichen, bei nahezu allen Lichtverhältnissen gut ablesbaren Display ohnehin aufgefordert wird) zwischen den einzelnen Modi hin- und herswitchen kann. Neben der Leistung unterscheiden sich die einzelnen Modi auch von der Intensität der Traktionskontrolle, die im von mir auf der Straße bevorzugten Sport-Modus spürbar Schlupf zulässt. Im Regenmodus wird Rutschern von der Elektronik am kräftigsten zu Leibe gerückt, im wunderbar abgestimmten Offroad-Modus greift die Traktionskontrolle am dezentesten ein, alles andere würde auf losem Untergrund auch stören. Wer will, kann sie aber auch ganz wegschalten, was ich eigentlich nur zu Testzwecken getan habe – zu gut fand ich den Offroad-Modus.

Der Street-Modus ist fürs Cruisen oder auch die Reise bestimmt keine schlechte Wahl, bei sportlicher Fahrt ist die Traktionskontrolle aber praktisch im Dauereinsatz, was zu einem nervenden Geblinke im Cockpit führt. Dies ist in erster Linie aber wohl der Standardbereifung geschuldet. KTM schickt die 1090 Adventure R mit dem Continental TKC 80 bestückt in die Schauräume, um zu zeigen, wo die Reise mit diesem Motorrad hingehen soll bzw. darf. Der gute, alte Conti ist immer noch eine gute Wahl für Reisen mit ordentlichem Schotter-Anteil und ich bin als Liebhaber gröberer Reifenprofile auch der Letzte, der diesen "Mut" bzw. diese konsequente Umsetzung des Themas kritisiert. Auf der Straße wird der TKC 80 von diesem Kraftpaket von Motorrad aber schon hart an seine Grenzen gebracht, was Schräglagen oder auch Haftung beim Rausbeschleunigen aus bzw. Anbremsen von Kurven betrifft. Erfordert mitunter eine sensible Gashand, bleibt aber im Großen und Ganzen kontrollierbar. Offroad funktioniert er dafür wunderbar, zumindest solange es trocken ist. Die Reifenwahl bei Reiseenduros bleibt eben immer auch ein Kompromiss und ich kann mir gut vorstellen, dass ein etwas gemäßigter "Mischreifen" à la Heidenau K60 Scout, Avon TrekRider, Metzeler Karoo 3, Mitas E-07 oder auch der TKC 70 von Conti das Potential der 1090er noch besser auf die Straße bringen, ohne dabei den Schotterspaß groß einzubremsen. In Anbetracht der Power, die man mit der KTM zur Verfügung hat, würden sicher auch reine Straßenenduroreifen vom Schlage eines Pirelli Scorpion Trail 2 oder Conti Trail Attack 2 Spaß machen, aber ob die dann auch zur gelungenen Optik der R passen? Wird jeder für sich selbst entscheiden müssen, drei- bis fünftausend Kilometer sollte man ja Zeit zum Überlegen haben, wie die Reise fortgesetzt wird – in etwa so lange wird es je nach Fahrweise dauern, bis die Erstbereifung runtergerubbelt ist.

Jedenfalls fährt sich die KTM auf Straßen jeglicher Qualität richtig gut (mein täglicher Redaktionsweg übers holprige Kopfsteinpflaster der Wiener Höhenstraße sorgte für Dauergrinsen unterm Helm), wozu neben dem kräftigen Motor das ausgezeichnete Handling sorgt. Die Sitzposition ist entspannt, auch weil sowohl die Position des breiten Lenkers als auch die der Fußrasten individuell eingestellt werden können, die Hebeleien (Bremse und Kupplung) sowieso. Auf Passstraßen fühlt sich das Motorrad wohl, Kurven jeglicher Radien sind ein Vergnügen. Gilt natürlich für viele andere Reiseenduros auch, sobald es unter den Reifen allerdings zu stauben beginnt, ist die 1090 R so richtig in ihrem Element…

…wozu in erster Linie das Spitzen-Fahrwerk beiträgt. Mit 220 Millimeter Federweg vorne wie hinten bügelt es Unebenheiten jeglicher Art weg. Die Upside-Down-Gabel mit 48 mm Durchmesser ist ohne Werkzeug in Zug- und Druckstufe zu verstellen, hinten lässt sich das Federbein einfach per gut zugänglichem Drehrad in der Vorspannung justieren.

Die verbauten Komponenten wirken hochwertig, die Fußrasten etwa sind (offroadmäßig) mit das Beste, was auf Reiseenduros ab Werk zu finden ist: Ausreichend große Aufstandsfläche um im Stehen zu fahren, die stabilen Zacken sorgen für sicheren Halt, die offene Bauweise für gute Selbstreinigung. Auch die Handprotektoren sind solide, der Motorschutz ist zwar aus Kunststoff, scheint aber durchaus etwas auszuhalten. Einfach mit wenigen Handgriffen zu verstellen ist das Windschild, das zwar bei der R kleiner als bei der normalen Adventure ausfällt, aber einen guten Job macht. 

So richtig hoch geraten ist die Sitzbank mit 89 Zentimeter Höhe – zumal das Motorrad ja nicht so einsinkt, wenn man sich drauf setzt, wie das Hardenduros wie z.B. meine CCM GP450 tun. Da bedarf es schon einer Körpergröße von zumindest 1,80 Meter, um mit beiden Beinen sicheren Stand zu haben, ich komme mit meinen 1,76 gerade mit den Zehenspitzen auf den Boden. Wem dies wichtig ist, der sollte eben besagtes Maß mitbringen, denn die Option einer niedrigeren Sitzbank gibt es nicht. In der Praxis ist das speziell auf Asphalt bzw. ebenem Untergrund kein Problem, man rutscht einfach mit dem Hintern ein Stück zur Seite und stellt eben nur einen Fuß fest hinunter, Offroad kann die Sitzhöhe dagegen schon das eine oder andere Mal für zusätzlichen Stress sorgen. Etwa wenn man plötzlich auf einer unebenen Stelle stehenbleiben muss, z.B. in einer steilen Schotterkehre oder oben auf einem Buckel – das Ganze dann am besten noch mit einem für die Fernreise vollbeladenen Motorrad und der Adrenalinstoß ist garantiert. Ein solcher hilft aber angeblich beim Aufstellen der vollgetankt doch rund 230 Kilo schweren KTM…

…an der anderen Hand sorgt eine derart hohe Sitzposition beim Fahren, auf und (vor allem)  abseits der befestigten Wege, für Annehmlichkeiten. Mit der 1090 Adventure R wird man Offroad später in die Rasten steigen, als mit anderen Reiseenduros, auch rasant anmutende Geschwindigkeiten über Schotter verlieren durch die nahezu perfekte Ergometrie ihren Schrecken, dazu bügelt das Fahrwerk wirklich fast alle Unebenheiten weg. Ich ertappte mich jedenfalls dabei, ähnlich schnell über Pisten zu pflügen, wie ich das sonst nur mit Einzylinder-Enduros mache, ob meiner CCM, der 690er von KTM oder der 701 von Husqvarna. Aber auch Passagen im Stehen und Schritttempo im ersten Gang gehen einem dank der präzisen Dosierbarkeit des Motors recht einfach von der Hand. Die einteilige Sitzbank ist für eine Reiseenduro eher von der härteren Sorte, ihre Form unterstützt aber den sportlichen Charakter der R, in dem es sich darauf aktiv hin- und herrutschen lässt. Und auch lange Etappen weckten nicht das Verlangen nach Pausen.

Die Bremsen von Brembo (vorne werken zwei 320mm Scheiben, hinten eine 267mm) funktionieren genau so, wie man sich das von einem derart sportlichen Bike wünscht – präzise und bissig genug, um die Kraft des LC8 auf der Straße zu zügeln, aber trotzdem auch im Schotter nicht über Gebühr fordernd. Das ABS regelt nicht zu früh und ist im Offroad-Modus am Hinterrad deaktiviert – für ganz Mutige oder sehr routinierte Fahrer lässt es sich natürlich auch ganz wegschalten. Ich musste schon suchen, um neben der Sitzhöhe weitere Kritikpunkte zu finden. Etwa die Tatsache, dass der Zündschlüssel nicht leicht ins Schloss zu bekommen bzw. zu drehen ist, wenn die Lenkradsperre aktiviert und dadurch der Lenker weit eingeschlagen ist – vor allem dann, wenn man noch einen Schlüsselanhänger oder vielleicht gar das komplette Programm an  Haus-, Garagen-, Büro- und Autoschlüssel drangepappt hat.

 

"Natürlich habe ich mitbekommen, dass der Wolf konzentrierter als sonst gewesen ist, wenn ich aufgestiegen bin oder wir an einer Ampel gehalten haben - die Sitzhöhe! Ich konnte aber nicht meckern, Kniewinkel und Sitzposition gehören mit zum Bequemsten, die etwas härtere Bank empfand ich gar nicht als unangenehm. Ich könnte mir jedenfalls sehr gut vorstellen, mit der KTM 1090 Adventure R auf Reise zu gehen, auch wenn mir klar ist, dass der Wolf damit wohl gar keinen Schotterweg mehr auslassen würde.

Legende


Genehmigt hat sich die KTM im Test 5,9 Liter auf 100 Kilometer, was zwar jetzt nichts für Sparefrohs ist, in Anbetracht der Fahrleistungen aber noch ein vertretbarer Wert. Im Zusammenspiel mit dem 23 Liter fassenden Tank ergibt das in der Praxis Reichweiten von 350+ km. Viel länger müssen die Etappen mit der Sitzbank ohnehin nicht sein.


+ Das Fahrwerk bügelt sämtliche Hindernisse weg wie nix

+ Der kraftvolle Motor schiebt in jeder Lebenslage ordentlich an, ist  aber auch Offroad gut dosierbar

+ Das Handling ist exzellent, egal ob auf Schotter oder auf der Straße

– Die Tatsache, dass ich keine daheim in der Garage stehen habe…

– Die Sitzhöhe auch wenn ich ihre Vorteile beim Fahren schätze, könnten es gerne 2, 3 Zentimeter weniger sein

– Bei Lenkradsperre wird das Ansetzen des Zündschlüssels zur Fummelei



Fazit:

Einsteiger-Motorrad ist die 1090 Adventure R keines, nicht nur wegen ihrer Sitzhöhe. Die KTM verlangt vielmehr nach einer routinierten Gashand, um ihr Potential einigermaßen auf oder neben die Straße zu bringen. Dafür wird einem dieses Eisen auch nach längerer Zeit kaum langweilig werden und durchaus immer wieder an neue Grenzen bringen, speziell wenn man sich Offroad weiter entwickeln will. Mehr Reiseenduro braucht man nicht, oder – um die PS-Klasse von 150+ nicht ganz ad absurdum zu führen – brauche ich nicht. Neben der neuen Africa Twin von Honda, die übrigens mit 95 PS ihr Auslangen findet, ist sie derzeit das einzige aktuelle Motorrad am Markt, das ich mir persönlich als Nachfolger für meinen (95-PS)-Tiger vorstellen könnte. Zum "Glück" stellt sich die Frage nach einer Entscheidung im Moment gar nicht und so werde ich auch künftig bei Reiseenduro-Tests weiter immer mit einem Ohr fest in mich hineinhorchen. Die unmittelbare Zukunft wird uns auf diesem Gebiet ja einige spannende Modelle bringen, ob von Yamaha (Tenere 700), Triumph (Nachfolger der 800er Tiger), BMW (Nachfolger der F 800 GS) und nicht zuletzt KTM: Baut man in Mattighofen eine 790 Adventure R so, wie ich das von meinen Landsleuten erwarte, also richtig g'scheit Offroadtauglich mit etwas unter 200 kg sowie etwas über 100 PS und dazu den einen oder anderen Zentimeter weniger an Sitzhöhe als bei der 1090er, könnte der Haben-Wollen-Effekt bisher nicht geahnte Ausmaße erlangen.

© 08/2017