Sozia klopfte mir unentwegt auf die Schulter, stieg immer wieder in die Rasten. Fuhr ich ihr zu langsam? Kann nicht sein, dachte ich beim Kontrollblick auf den digitalen Tacho der KTM 1290 Super
Adventure, mit der ich nun schon eine gute Woche unterwegs gewesen war und auf der sich auch die beste aller Mitfahrerinnen immer pudelwohl gefühlt hatte. Also blieb ich stehen und sie
sprang mit einem Satz vom Motorrad. "Mein Hintern brennt!" Ein Blick aufs Multi-Display des fahrenden Computers bestätigte meinen Verdacht:
HEIZUNG Griffe off, Fahrer off, Beifahrer max stand da zu lesen und selbst normales Handauflegen auf das komfortable Gestühl ließ einen zusammenzucken: Das muss die Einstellung für Russland im Winter sein. "Nein, so fahre ich keinen Meter mehr", hörte ich Sozia durch den Helm – kein Problem, ich schalte es weg. Fehlanzeige. Am Display ließ sich nur zwischen Griffheizung und Fahrersitzheizung switchen, die Einstellung für den Sozius-Sitz blieb tabu bzw. wurde beharrlich übersprungen. Da half weder der Überlistungsversuch durch mehrmaliges Ein- bzw. Ausschalten des Motorrads, noch irgendwelche verzweifelt gedrückte Tastenkombinationen. Ich war schon kurz davor, in Mattighofen anzurufen, als mir einfiel, dass wir nur wenige Kilometer von KTM Schruf in Hirtenberg entfernt waren, wo die Lösung unseres Problems lediglich ein angeblich Flügel spendendes Kaltgetränk lang dauerte. Was wir dabei lernten: Im Gegensatz zur 1190 Adventure wird die Heizung des Beifahrersitzes bei der großen Schwester nicht vom Multifunktions-Schalter am Lenker gesteuert, sondern von einem Drehknopf hinter dem Sitz, den der Sozius selbst bequem mit der Hand erreichen kann. Angezeigt wird der Betriebsstatus aber genauso auf dem Display…
…ja, ja – was man nicht weiß, macht manchmal richtig heiß.
Heiß ist auch das neue Reise-Flaggschiff aus dem Hause KTM, das ich zwei Wochen lang ausgiebigst testen konnte. Und vollgestopft mit allen nur denkbaren und undenkbaren technischen Features, um das Unterwegs sein angenehmer, das Motorrad auch für Otto-Normalverbraucher fahrbarer zu machen. Hand aufs Herz: Wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass die damals präsentierte 1190 Adventure mit ihren stolzen 150 PS schon so bald "die Kleine" sein könnte? Wenn man einmal um die 1290 Super Adventure herum geht, sticht einem zu allererst deren stattliche Erscheinung ins Auge: Mann ist die dick, Mann! Und dann der Respekt einflößende Blick aufs Datenblatt: 160 PS, 140 Newtonmeter Drehmoment! Da steigt das Verlangen aufzusitzen und loszufahren. Der modifizierte Zweizylinder-V-Motor aus der Super Duke ist ein Kraftwerk, das wie jede KTM auf Drehzahl gehalten werden will, trotz seiner beachtlichen Laufkultur unter 3000 Touren ein vergleichsweise doch eher ruppiger Geselle, darüber hinaus spielt dann so richtig die Musik. Damit die 160 Pferde unter dem 30-Liter-Tank auch jederzeit beherrschbar bleiben, arbeiten im Hintergrund fast ständig die elektronischen Helfer in Form der MTC genannten Traktionskontrolle. In den vier Fahr-Modi Sport, Street, Rain und Offroad wird hier unterschiedlich zu Werke gegangen, im Regen- und Geländebetrieb stehen "nur" 100 PS zur Verfügung. Wer spüren will, was die 160 Vollblut-Araber ungezügelt mit dem Hinterreifen anstellen, der kann die Traktionskontrolle auch abschalten – macht richtig Spaß, ist aber nur geübten Fahrern zu empfehlen.
Ein wahrer Genuss ist das Fahrwerk, das schon bei meiner "Normrunde" über das Kopfsteinpflaster der Wiener Höhenstraße ein breites Grinsen unter dem Helm hervorrief. Auch die semiaktive WP-Federung, die im Millisekundenbereich Informationen an die Federelemente verabreicht, ist in vier unterschiedlichen Set-Ups zu fahren (Sport, Street, Komfort und Offroad), was wiederum in Verbindung mit den Fahrmodi eine ganze Reihe von individuellen "Einstellungen" ermöglicht. Wobei die Unterschiede wirklich spürbar sind. Einziger Kritikpunkt, egal in welcher Einstellung: Bei langsamen Fahrten über Bodenwellen ist ab und zu ein diesem Motorrad nicht würdiges "Klackern" aus der Gabel zu hören, man darf aber davon ausgehen, dass auch dies bei einem der nächsten Software-Updates behoben sein wird. Ich persönlich empfand auf den kurvigen, nicht immer bestens asphaltierten Straßen des Wienerwaldes oder der Voralpen die Kombination Fahrmodus Sport/Dämpfermodus Street als recht angenehm. Angesteuert bzw. kontrolliert wird das alles wie bei der 1190er mit der linken Hand über ein großes, gut ablesbares Display. Am Gasgriff findet man die Einstellungen für den Tempomat, der bei so einem noblen Reisehobel natürlich ebensowenig fehlen darf, wie die Reifendruckkontrolle am Display oder selbstrückstellende Blinker. Wenn der mächtige Vorwärtsdrang des Motorrads eingebremst werden muss, gehen vorne zwei 320-mm-Brembo-Scheiben und hinten eine 267er zu Werke, die die Fuhre bei Bedarf richtig gut verzögern. Selbstredend in Verbindung mit dem serienmäßigen Kurven-ABS (MSC) von Bosch, das den Fahrer zwar nicht "entmündigt", aber doch immer wieder aufs neue begeistert bzw. verblüfft.
All diese Dinge machen die KTM 1290 Super Adventure zu einem hervorragenden Reisemotorrad, auch oder vor allem zu zweit: Kraft ist in jeder Lebenslage ausreichend verfügbar, die je nach Fahrmodus
bzw. Handhabung sanft oder auch brachial auf die Antriebskette übertragen werden kann. Die Sitze sind komfortabel genug, um auch Tagesetappen weit jenseits der 500-Kilometer-Marke ohne Schmerzen
überstehen zu lassen. Was gut so ist, muss man in Anbetracht des 30-Liter-Tanks und einem Verbrauch zwischen 6,3 und 6,8 Liter pro 100 Kilometer doch nur noch alle rund 450 Kilometer
stehenbleiben, um das Fass wieder aufzufüllen. Hinter dem mächtigen Windschild, das recht einfach stufenlos per Hand zu verstellen ist, ist der Fahrer auch auf flotten Autobahnetappen bestens
geschützt.
Am wohlsten fühlt sich die 1290 Super Adventure naturgemäß, wenn man sein Abenteuer auf der asphaltierten Straße sucht. Da lässt sie sich dank der hervorragenden Ergometrie, die durch verstellbare Rasten und Lenker für jeden Fahrer individuell anzupassen ist, und des 19-Zoll-Vorderrads zügig durch alle noch so wilden Kurvenkombinationen steuern, auch engste Radien bereiten ihr kein Problem. Feldwege ebenso wenig, gemäßigte Schotterstraßen detto. Wenn es dann aber gröber oder feucht wird, ist freilich bald Schluss mit Lustig. Wobei der serienmäßig aufgezogene Conti Trail Attack 2, der auf (trockenem) Asphalt Schräglagen zulässt, bis Stiefelspitzen, Hauptständer oder Rasten (in dieser Reihenfolge) Bodenkontakt haben, dort sowieso weit früher an seine Grenzen gerät, als die dicke Katie. Die mit 250 kg vollgetankt bzw. unter 230 leer zwar ein ordentliches Bröckerl, im direkten Vergleich dieser "Gewichtsklasse" mit Konkurrenz-Produkten dann allerdings doch schon wieder fast ein "leichtes Mädchen" ist.
"Das Mitfahren auf der KTM 1290 Super Adventure ist ein Riesenspaß. Selten noch bin ich derart bequem auf einem Motorrad gesessen, selbst lange Distanzen machen nicht müde. Die Polsterung ist angenehm, die jederzeit mit einer Hand einstellbare Sitzheizung Luxus pur – obwohl ich mir den Hintern verbrannt habe. Daher gibt es von mir die Bestnote in Form von fünf Wölfen, auch wenn mir klar ist, dass Luxusdampfer vom Schlage einer Goldwing für den Sozius noch komfortabler sind – die Hoffnung, dass mich der Wolf mal auf sowas mitnimmt, hält sich ja in Grenzen…"
* Legende
Fazit:
Hand aufs Herz: Braucht man wirklich eine Reiseenduro mit 160 PS? Diese Frage muss jeder für sich beantworten, das stets souveräne Triebwerk in der Super Adventure bereitet jedenfalls Fahrspaß pur, ist ein ebenso komfortabler wie sportlicher Reisebegleiter, egal ob allein oder zu zweit auf dem Motorrad. Auch wenn mir auf Anhieb wenig einfällt, was sie wirklich besser kann als die bereits sehr souveräne 1190 Adventure (sieht man vom besseren Windschutz bzw. der höheren Reichweite ab), die noch dazu doch um einiges leichtgängiger zu handeln ist, was freilich nur abseits befestigter Wege wirklich zum Tragen kommt. Dort ist dieser Luxusdampfer freilich auch nicht zu Hause, sondern auf den Straßen dieser Welt – immer mit der Option im Hinterkopf, dass man ja auch in den nächsten Schotterweg abbiegen könnte. Dass ein Markt für solch große Reisemotorräder mit ordentlichen Federwegen vorhanden ist, zeigen die Verkaufszahlen bei BMW bzw. der Adventure-Variante der 12er GS. Von diesem Kuchen will man sich nun eben auch in Mattighofen ein Stück abschneiden, wozu dieses Motorrad allemal in der Lage ist: Technisch setzt die neue 1290 Super Adventure jedenfalls Maßstäbe. So wie natürlich auch der Preis von in Österreich € 20.998,-
© 05/2015
Mein neuer Helm:
Seit März fahre ich mit dem Touratech Aventuro Pro Carbon Jetzt bereit zur Anprobe & Testfahrt bei www.touratech.at
bzw. im Shop in Baden!
Kontakt:
Reisen ist tödlich
für Vorurteile.
Mark Twain
Unter Motorradfahrern gibt es keine Fremden - nur Freunde, die man noch nicht getroffen hat.
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