KTM 690 Enduro R • Modelljahr 2014

Eine für alles – kompromisslos gut

Kleine Reiseenduro oder große Hardenduro? Die KTM 690 Enduro R ist beides. Leicht genug, um auf unbefestigten Pfaden sicher und einfach bewegt zu werden, stark genug, um auch größere Distanzen onroad oder sogar Autobahnabschnitte locker und bequem zu bewältigen. Ich bezeichne eine Reiseenduro ja gerne auch als Kompromiss zwischen Gelände- und Langstreckentauglichkeit – dieses Motorrad geht dabei aber (fast) keinen ein, wovon ich mich zwei Wochen oder rund 2500 Kilometer lang überzeugen konnte.

Der LC4, den die Enduro mit der 690 Duke sowie der 690 SMC R aus dem KTM-Regal teilt, ist fast schon ein legendäres Aggregat, in der Enduro bringt der stärkste Einzylinder der Welt 67 PS aufs Hinterrad. Das sind zwar drei weniger als in meiner Duke R, die hat dafür rund zehn Kilo mehr auf den Rippen. Wobei der Motor nur noch wenig an den ruppigen Gesellen vergangener Tage erinnert, der LC4 in seiner aktuellen Form ist ausgereifter denn je, ohne dabei seine sportliche Note verloren zu haben. Im 2014er Modell wurde ihm, wie schon aus der Duke bekannt, nun auch in der Enduro Doppelzündung und (wegschaltbares) ABS gespendet. Ersteres verbessert nicht nur die Laufkultur, sondern senkt den Verbrauch noch einmal auf ca. viereinhalb Liter pro 100 Kilometer, die einen in Verbindung mit dem 12-Liter-Tank selbst bei zügiger Fahrweise rund 250 Kilometer weit kommen lassen. Zweiteres erhöht die Sicherheit auf der Straße. Wobei KTM als Extra ein Offroad-ABS anbietet, das mittels eines Dongles, welches am Kabelbaum unter der Sitzbank angesteckt wird, zu installieren und mit einem längeren Druck auf den untersten Knopf neben dem Display leicht zu aktivieren ist. Dazu muss das Motorrad bei eingeschalteter Zündung lediglich stehen bzw. der Tacho 0 km/h anzeigen, unabhängig davon, ob der Motor läuft bzw. ein Gang eingelegt ist oder nicht. Solange die ABS-Leuchte blinkt kann man damit das Hinterrad blockieren, während am Vorderrad weiter ABS verfügbar ist – funktioniert in der Praxis hervorragend und ist absolut empfehlenswert, wenn man beabsichtigt, regelmäßig befestigte Wege zu verlassen.

Das Display ist gut ablesbar, auf eine Tankanzeige wird verzichtet
Das Display ist gut ablesbar, auf eine Tankanzeige wird verzichtet
Betankt wird die Enduro von hinten, 12 Liter passen rein
Betankt wird die Enduro von hinten, 12 Liter passen rein

Alles andere wäre mit diesem Motorrad auch irgendwie "Themenverfehlung", wenngleich es vor allem durch seine Vielseitigkeit punktet: Die KTM 690 Enduro R ist wirklich eine für alles, fühlt sich sowohl im Großstadtdschungel, als auch auf Landstraßen, Schotterstraßen und richtigem Gelände pudelwohl, ja selbst Autobahnetappen sind keine Qual, wenngleich sich hier der fehlende Windschutz natürlich schon auf den Komfort schlägt. Die Antihopping-Kupplung ist extrem leichtgängig, was speziell offroad sehr angenehm ist, das kabellose Ride-by-Wire des 2014er Modells macht es zur Freude, am Gashahn zu drehen.

Zumal der LC4 immer noch ein Aggregat ist, das auf Drehzahl gehalten werden will, zu sportlicher Fahrweise animiert. Auf engen, verwinkelten Pass-Straßen macht der wendigen, antriebsstarken 690er kaum einer etwas vor, fühlt man sich am "Hochsitz" der Enduro (910 mm) pudelwohl! Im unteren Drehzahlbereich wird's dagegen schon mal recht ruckelig, was bei langsamen, engen Schotterkehren oder heiklen Gelände-Passagen ein wenig gewöhnungsbedürftig ist, aber trotzdem gut hantierbar bleibt. Was in erster Linie am geringen Gewicht des Motorrads von 139,5 kg trocken bzw. gewogenen 157,5 kg vollgetankt (mit montierten Sozius-Rasten aber ohne den ebenfalls im Lieferumfang enthaltenen Heck-Haltegriffen) liegt.

Die Gabeln sind separat in Zug- und Druckstufe individuell einstellbar
Die Gabeln sind separat in Zug- und Druckstufe individuell einstellbar
Der Motor ist serienmäßig für den Fall des Bodenkontakts geschützt
Der Motor ist serienmäßig für den Fall des Bodenkontakts geschützt

Dies im Zusammspiel mit dem exzellenten Fahrwerk lassen auf der KTM 690 Enduro R selbst wirklich grobes Geläuf zu einfachen Feldwegen verkommen. Neu ist dabei, dass die Upside-down-Gabel von WP getrennt in Zug- und Druckstufe einstellbar ist, was ein individuelles Set-Up ermöglicht. Auch das ebenfalls vom Hauslieferant White Power produzierte, voll einstellbare Gasdruck-Monoshock-Federbein ist vom Feinsten und bügelt Unebenheiten wie nix weg, wobei der Federweg vorne wie hinten jeweils 250mm beträgt. Die im Bedarfsfall fest zupackenden Bremsen vom italienischen Spezialisten Brembo (vorne und hinten jeweils eine leichte Wave-Scheibe) runden den guten Gesamteindruck ab.

Ab Werk kommt die 690 Enduro R 2014 übrigens auf Metzeler Sahara Enduro 3 daher, ein Reifen, der dem Universaltalent des Motorrads im Großen und Ganzen gerecht wird, vor allem wenn man es als Alltagsmotorrad einsetzt. Bietet er doch ausreichend Grip für die flotte Kurvenfahrt auf asphaltierten Straßen und macht dabei auch in grobem Schotter oder leichtem Gelände gute Figur – wenn es abseits befestigter Wege allerdings nass und matschig wird, stößt er rasch an seine Grenzen. Weshalb ich persönlich doch eher etwas grobstolligeres wie z.B. den Mitas E-09 aufziehen würde.

Die Motorcharakteristik lässt sich übrigens durch verschiedene, über ein kleines unter der Sitzbank positioniertes Einstellrädchen wählbare, Mappings beeinflussen, wobei ich zumeist mit der Standard-Einstellung unterwegs gewesen bin, in der ich das Ansprechs- bzw. Fahrverhalten am angenehmsten empfinde. Alternativ dazu gibt es eine sportliche, eine softe und eine Variante für schlechte Spritqualität, was vor allem auf Fernreisen gefragt ist.

Apropos Sitzbank: Für eine Hard-Enduro geht das Gestühl als bequem durch, für verwöhnte Hintern eines Reise-Enduristen ist sie spätestens ab 500 Tageskilometern eine Herausforderung, der jedoch mit dem Gang zum Sattler oder Bänken von Drittanbietern wie Touratech zu Leibe gerückt werden kann. Und wenn wir schon bei (den wenigen) Kritikpunkten sind: Fürs Bordwerkzeug findet sich unter der Bank bzw. am Motorrad kein Platz, der Lenkereinschlag ist sehr dürftig. Auf eine Tankanzeige verzichtet KTM wie bei den Einzylinder-"Schwestern" Duke und SMC weiterhin und ab einem Tempo jenseits der 120 km/h ist in den vibrierenden Rückspiegeln alles Nachkommende nur in Fragmenten erkennbar. Dafür sind der Kniewinkel und die aufrechte Sitzposition extrem entspannt, bieten die offenen Rasten mit ihrer breiten Aufstandsfläche guten, sicheren Stand auch für längere, entspannte Stehendfahr-Passagen.

"So sehr die KTM 690 Enduro R dem Wolf auch Spaß gemacht hat, was ich vor allem daran spürte, dass er die Kurven fast wie mit der Duke anging, auf der ich allerdings etwas bequemer sitze und die zwei Wölfe bekommen würde – beim Mitfahren hält sich dieser doch in Grenzen. Die harte Sitzbank vermittelt dir immer eins zu eins den Zustand der Straße direkt am Hintern. Wir sind auch längere Etappen zu zweit unterwegs gewesen – es geht, ist aber für den Sozius recht anstrengend. Daher gibt's von mir nicht mehr als einen Wolf und das Fazit: Ich muss nicht überall dabei sein…"


Fazit:

Die KTM 690 Enduro R in ihrer aktuellsten Variante ist ein gleichermaßen alltagstaugliches wie sportliches Motorrad und kommt dem, was ich mir für Solo-Reisen mit Offroad-Schwerpunkt bzw. zum Endurowandern vorstelle, verdammt nahe. Wobei ich zumindest für den zweitgenannten Einsatzbereich wohl weder Windschild (da bin ich offenbar von der Duke geeicht) noch Zusatztank montieren würde, weil mir die Leichtigkeit des Gefährts das Wichtigste ist. Für die große Reise käme natürlich schon die eine oder andere Umbaumaßnahme in Betracht, es muss ja nicht gleich das toll verarbeitete und -aussehende Rundum-Sorglospaket in Form des Quest-Kit von KTM Basel sein, der noch einmal locker den halben Anschaffungspreis des Motorrades zu Buche schlägt, auch der britische Offroad-Spezialist Rally Raid bietet diverse "Baukästen", und schon ein simples Windschild aus dem Power Parts Katalog erhöht die Tourentauglichkeit. Mit einem Fünf-Liter-Reservekanister (oder dem kleinen 4,5-Liter-Rally-Raid-Zusatztank als "Gegenstück" zum Endschalldämpfer auf der rechten Seite) erhöht sich dazu die Reichweite auf rund 350 Kilometer, ohne das Fahrverhalten zu beeinträchtigen. Dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt, zumal das Grundprodukt stimmt: Ein leichtes, gelände- und straßentaugliches Motorrad mit einem bärenstarken Motor sowie benutzerfreundlichem 10.000-Kilometer-Serviceintervall, das sich in dieser Form aktuell eigentlich keiner Konkurrenz am Markt gegenüber sieht.

© 08/2014