Suzuki V-Strom 650 ABS • Modelljahr 2017

Unspektakulär gut

Sie ist erwachsener geworden, im Modelljahr 2017. Und in meinen Augen auch fescher. Vor allem aber haben die Suzuki-Leute ihren Bestseller V-Strom 650 drei Jahre nach dem Erscheinen des neuen Modells weiter aufgewertet. Das beginnt beim altbekannten V2-Motor, der mit EURO4 an Kraft zulegte und nun 71 PS leistet und setzt sich fort in einer zweistufigen Traktionskontrolle, die erstmals auch für die "kleine" bzw. mit Erscheinen der 250er jetzt eben mittlere V-Strom verfügbar ist.

Ich hatte Anfang Juli 2017 die Gelegenheit, das Motorrad acht Tage lang ausgiebig über meine Hausstrecken zu bewegen. Schon nach dem ersten Aufsteigen die erste Überraschung: Man fühlt sich augenblicklich vertraut auf dem Gerät, "Eingewöhnungsphase" wie auf vielen anderen Motorrädern üblich, gab es so gut wie keine. Okay – dadurch, dass ich unmittelbar davor schon ein paar Stunden mit der 1000er unterwegs gewesen war, ehe wir draufgekommen sind, dass ich diese eine Woche zu früh ausgefasst hatte und ich kurzerhand noch einmal zum Suzuki Bogoly nach Bruck/Leitha zurück gefahren bin, kam mir der Motor zunächst doch ein wenig brustschwach vor, aber auch das legte sich rasch. Der Zweizylinder will auf Drehzahl gehalten werden, wenn man ihn flott bewegen will – beherzigt man das, dann reichen die 71 PS und 62 Newtonmeter allemal auch für die flotte Kurvenhatz. Zum gemütlichen Cruisen kann er aber auch sehr schaltarm gefahren werden. Überhaupt hat man das Gefühl, auf einem hubraumstärkeren Motorrad zu sitzen. Dabei bleibt das Motorrad durch seine Gutmütigkeit bzw. sanft anmutende Leistungsentfaltung auch für Einsteiger einfach zu fahren und stresst den Reiter selbst abseits befestigter Wege nicht. Ganz im Gegenteil. Auch wenn die 650er in der neuesten Generation der um 30 PS stärkeren, bissigeren 1000er wie aus dem Gesicht geschnitten ähnelt und nicht einmal ein klitzekleiner Schriftzug verrät, um welche V-Strom es sich nun handelt. Zumindest den Besitzern der kleineren wird das kaum unrecht sein…

Angetan war ich von der Handlichkeit. Die Suzuki lässt sich spielerisch durch Kurven sämtlicher Radien zirkeln – geht nicht, gibt's nicht, keine Kehre ist ihr zu eng. Einziger Kritikpunkt bei engagierter Kurvenhatz: Stiefel und Rasten haben relativ früh Bodenkontakt, speziell wenn man zu zweit unterwegs ist. Die Bremsen sind ausreichend gut, das ABS aber leider nicht wegschaltbar, auch nicht am Hinterrad zu deaktivieren, wie das im Reiseenduro-Segment mittlerweile als "Offroad-ABS" schon mehr oder weniger Usus ist. Auf Feldwegen und guten Schotterstraßen kein Problem, wenn es steiler und kniffliger wird, aber doch ein Manko für jene, die gerne auf unbefestigten Pfaden unterwegs sind. Vielleicht ein Ansatzpunkt für Verbesserung, künftig wenigstens dem XT-Modell, das mit schicken Speichenrädern, Handprotektoren, Bugspoiler etc. ja etwas Offroad-affiner daher kommt, ein solches zu verpassen. 

Stichwort Offroad bzw. Schotter: Da geht mit der mit einem 19-Zoll-Vorderrad ausgestatteten V-Strom durchaus einiges, mein Freund Gerhard etwa schwört als passionierter "Endurowanderer" seit Jahren auf sie und ist damit erst heuer die Theth-Runde in Albanien gefahren – da donnert man teilweise schon über richtig grobes Gestein. Wobei die relativ niedrige Sitzposition (durch die schmale Sitz-Tank-Kombination wird die Sitzhöhe von 830mm als niedriger empfunden) dem Handling durchaus entgegenkommt bzw. Sicherheit vermittelt. An der anderen Hand sitzt man auf der Suzuki eher "im" als "am" Motorrad, was richtig aktive Fahrweise ein wenig einschränkt. Das Fahrwerk (vorne 150mm Federweg, nicht in der Vorspannung verstellbar, hinten 159mm, mittels Handrad bequem in in der Zugstufe einstellbar) meistert auch schlechte, holprige Straßen souverän, kommt bei flotter Fahrt auf unbefestigten Wegen aber doch relativ bald an seine Grenzen bzw. neigt zum Durchschlagen. Tipp: Die hintere Feder ordentlich vorspannen, das unterstützt auch das präzise Einlenken bei der engagierten Pässe-Fahrt. Wie überhaupt das Fahrwerk auf der Straße sehr gut funktioniert, auch hartes Anbremsen vor Kurven die Gabel nicht aus der Ruhe bringen kann. Serienmäßig fährt die V-Strom 650 auf dem Bridgestone Trailwing daher (die XT bekam die neuen Bridgestone A40 spendiert), die auf der Straße ausreichend Grip bieten und auch auf trockenen Feldwegen bzw. gemäßigten Schotterpfaden recht gut funktionieren. Wer es gerne gröber hat, wird hier aber früher oder später sowieso etwas anderes aufziehen, ein Heidenau K60 Scout würde z.B. sehr gut zu diesem Motorrad passen. Auch die schlanken Fußrasten sind nicht wirklich für jene, die regelmäßig im Stehen fahren wollen, bieten dafür einfach zu wenig Aufstandsfläche – die würde ich rasch tauschen.

Die Sinnhaftigkeit der Traktionskrontrolle bei Motorrädern von unter 100 PS habe ich schon öfter in Frage gestellt, also beschränke ich mich darauf, ihre Funktion zu bewerten – und die ist gut: In Stufe 1 greift sie nur bei wirklich flotter Kurvenfahrt dezent ein, in Stufe 2 blinkt es schon beim ersten Kreisverkehr, diese Einstellung ist höchstens bei Regen bzw. feuchter Fahrbahn empfehlenswert. Im Unterschied zum ABS lässt sie sich aber auch ganz wegschalten, was ich abseits befestigter Wege auch unbedingt empfehle. Gut finde ich in der Praxis auch, dass die letzte Einstellung gespeichert bleibt, man also auch nach dem Ab- und Einschalten des Motors wieder mit z.B. deaktivierter Traktionskontrolle weiter fährt.

Als bequem bzw. langstreckentauglich würde ich die Sitzbank bezeichnen – was auch gut so ist: Denn bei einem Testverbrauch von lediglich 4,8 Litern auf 100 Kilometer kommt man mit einer Tankfüllung (20 Liter gehen rein) gut 400 Kilometer weit! Der ordentliche Windschutz trägt seines zur Reisetauglichkeit der V-Strom bei, selbst längere Autobahn-Etappen sind keine Qual. Das Windschild ist in drei Stufen verstellbar, allerdings benötigt man dafür einen Inbusschlüssel, nachdem man zuvor vier Handschrauben gelöst hat.

 

"Die Sitzbank ist bequem, der Kniewinkel ebenso – ich habe mich eigentlich von Anhieb an recht wohl gefühlt auf der Suzuki. Dass ich ihr nicht vier Wölfe spendierte, lag einzig und allein daran, dass mich der Wolf dann auch noch unbedingt über Schottenpisten führen musste – da hat es mich doch ordentlich durchgerüttelt, ein paar Mal ging es bestimmt zehn Zentimeter aus dem Sattel hoch! Trotzdem ist es ein Motorrad, mit dem man absolut zu zweit auf Reisen gehen kann, auch lange Etappen sind kein Problem.“

Legende


Das Cockpit ist übersichtlich, liefert dem Fahrer neben dem analogen Drehzahlmesser alle wichtigen Informationen digital, etwa den Modus der Traktionskrontrolle, Außentemperatur, zwei Trip-Zähler, eine große Gang-Anzeige, auch die Rest-Reichweite ist jederzeit ablesbar. Die Menüführung am Lenker ist einfach, eine 12-Volt-Steckdose sorgt dafür, dass einem auch unterwegs nicht das Handy schlapp macht oder die Akkus der Action-Cam ausgehen. Ein Feature, das vor allem Einsteiger schätzen werden, ist der "Low RPM Assistant", der die Leerlaufdrehzahl ein wenig anhebt, sobald die Kupplung gezogen wird – das minimiert die Gefahr, den Motor etwa an der Ampel abzuwürgen und unterstützt auch beim langsamen Stop-and-Go-Verkehr in der Stadt oder im Stau.


+ Preis-/Leistungsverhältnis ein vollwertiges Reise-Motorrad um unter 10.000 Euro findet man selten

+ Verbrauch bei 4,8 L/100 km reicht eine Tankfüllung für ca. 400 km

+ Handlichkeit keine Kurve ist der kleinen V-Strom zu eng

– ABS nicht abschaltbar und auch nicht am Hinterrad zu deaktivieren

– Fehlender Motorschutz eigentlich ein NoGo für Reiseenduros

– Fahrwerk neigt bei flotter Fahrt über unbefestigte Wege zum Durchschlagen

 



Fazit: Wenn ich jetzt unspektakulär schreibe, mag sich dieses ausgereifte "Brot- und Butter-Moped" auf den Schlips getreten fühlen – unspektakulär gut  trifft es in meinen Augen schon besser. Die Suzuki V-Strom 650 kann nichts am besten, aber alles recht ordentlich, was sie zu einem Motorrad für alle Tage und auch einem verlässlichen Reisebegleiter macht. Interessant sowohl für Einsteiger, die ihre Gutmütigkeit schätzen werden, als auch für all jene, die nicht bereit sind, mehr als 10.000 Euro für ein Motorrad auszugeben. Denn auch der Preis von in Österreich aktuell € 9.690,- ist ein nicht vom Tisch zu wischendes Argument. Vor allem, weil man dafür eine vollwertige, vielerorts unterschätzte Reiseenduro bekommt, mit der man fast keine Abstriche machen muss, man sich eigentlich eher im Sattel einer 800er denn einer 650er wähnt. Und die zeigt, dass man auch ohne die verschiedensten Fahr-Modi oder Kraft im Überfluss beim Fahren Spaß haben kann. Und nur darauf kommt es an.

© 07/2017