Gas geben, ankern, präzise durch die Kurve schneiden und noch an deren Ausgang den Hahn gleich wieder voll aufdrehen – immer und immer wieder! So in etwa verlief der Arbeitstag auf den Landstraßen von Gran Canaria, wo ich Anfang März 2018 das Vergnügen hatte, unter den Allerersten zu sein, die die neue KTM 790 Duke erFAHREN durften. Am Abend hatte ich Schwielen auf der Gashand…
Denn die hügelige Landschaft auf der größten Kanaren-Insel entpuppte sich als Eldorado für Kurvenfreaks, wie gemacht für den jüngsten Naked-Bike-Spross made in Austria.
Der mit einem völlig neu konstruierten Motor das Interesse der Fachwelt schon im Vorfeld kräftig angeheizt hatte: Der erste Parallel-Twin oder Reihenzweizylinder aus dem Hause KTM leistet in der 790 Duke 105 PS, das maximale Drehmoment von 87 Nm liegt bei 8000 Umdrehungen an. Eckdaten, die erahnen lassen, wie flott er das trocken 169 Kilo leichte Motorrad noch vorne preschen lässt. Die aber erst in Verbindung mit der sprichwörtlichen Handlichkeit einer "echten" Duke zur richtig messerscharfen Mischung werden.
Doch der Reihe nach. Originell in einem Flugzeug-Hangar am Circuito Maspalomas, auf dem wir auch zahlreiche Runden unter Rennstrecken-Bedingungen drehen konnten, wurden uns im bequemen Klapp-Sessel direkt neben dem "eigenen" Moped bei der Pressekonferenz interessante Zahlen serviert: So waren insgesamt 250 Leute an der Entwicklung des Motors beteiligt, habe man diabolische 111.111 Arbeitsstunden daran verwendet, 604.800 Kilometer lief er auf dem Prüfstand sowie sage und schreibe 900.000 auf der Straße, bevor er in Serie ging. Nachvollziehbar, dass so ein Motor in diversen Modellen eingebaut werden muss, um den Aufwand hereinzuspielen. In der Duke macht er schon einmal eine außerordentlich gute Figur, im nächsten Jahr wird die 790 Adventure an der Reihe sein, auch ein "Tourer" im Stile der sehr beliebten 990 SMT erscheint mir realistisch, dazu kommt noch eine Vielzahl an Möglichkeiten mit der Marke Husqvarna, deren Onroad-Palette in naher Zukunft ebenfalls ausgebaut werden soll.
Doch zurück zur 790 Duke, die es wahlweise in schwarz oder orange gibt und die von KTM den Namen "Skalpell" verpasst bekam. Als Anspielung auf die Präzision, mit der sie sich auch durch engstes Geläuf dirigieren lässt. Kompaktheit und Agilität standen zu oberst im Lastenheft, die Sitzhöhe fällt mit 825 mm moderat aus, es gibt aber auch eine niedrigere Sitzbank (805 mm) und einen "Low-Kit" mit 780 mm Sitzhöhe, bei der dann gleich das ganze Fahrwerk abgesenkt wird. Apropos Fahrwerk: Die progressive WP-Gabel erledigt ihren Job auch auf schlechten Straßen sowie bei sportlicher Fahrweise vorzüglich, ist aber nicht einstellbar, das extra für dieses Motorrad entwickelte Federbein kann lediglich in der Vorspannung eingestellt werden. Voll adjustierbare Dämpfungselemente hebt man sich in Mattighofen offenbar wieder für ein R-Modell auf, das – auch wenn es dafür kein offizielles Statement gibt – wohl KTM-typisch in einem Jahr nachgereicht wird. Dafür sind dann auch giftigere (Brembo?)-Bremsen zu erwarten. In der Standard-790-Duke kommen erstmals Bremsen mit KTM-Branding zum Einsatz, die zusammen mit dem spanischen Hersteller Juan entwickelt worden sind und die selbst bei schärfstem Tempo nur selten den Wunsch nach aggressiverer Verzögerung aufkommen ließen. In Wahrheit machen die eher moderaten Bremsen das Motorrad für viele nur fahrbarer, so wie auch der schon aus dem Drehzahlkeller heraus durchzugsstarke Motor, der nicht so nervös und fordernd am Gas hängt wie etwa der LC4 der "kleinen" 690er-Schwester und trotzdem kein Auge trocken lässt, wenn man kräftig an selbigem dreht.
Was das Motorrad jedoch in seiner (Preis)-Klasse so einzigartig macht, ist das umfangreiche Technik-Paket, das KTM der 790 Duke verpasste: Alles, was bei den Österreichern in diesem Bereich derzeit angeboten wird, um Motorradfahren sicherer zu gestalten, ist serienmäßig mit an Bord: Vom Kurven-ABS über die dezent aber effektiv arbeitende, neunstufige Traktionskontrolle, den exakt und präzise schaltenden Quickshifter, mit dem die Gänge spielerisch und ohne die Kupplung zu ziehen rauf und runter gewechselt werden können, Launch-Control, Anti-Wheeler, 10-stufigen Slip-Adjuster bis hin zu vier Fahrmodi: Einzig im Rain-Modus ist dabei auch die Leistung reduziert, Street und Sport unterscheiden sich in der Intensität von Gasannahme und Traktionskontrolle, im Track-Modus kann jeder einzelne Parameter individuell gewählt werden und so jeder sein ganz persönliches Set-Up zusammenstellen. Umso bemerkenswerter, dass man für diesen Track-Modus bei der weit teureren Super Duke R extra in die Zubehör-Kiste greifen muss…
Angezeigt wird das alles auf einem übersichtlichen TFT-Display, dessen Bedienung bequem mit der linken Hand über die Schaltzentrale Lenker erfolgt, auf Wunsch kann sogar ein Smartphone gekoppelt werden, um im Kurvenrausch der Lieblingsmusik zu lauschen und sich am Display den jeweiligen Titel anzeigen zu lassen.
Eine Neuheit bzw. ungewöhnlich für ein sportliches Straßenmotorrad ist auch der Reifen von Maxxis, bei dessen Entwicklung KTM ein gewichtiges Wort mitreden durfte. Bislang war der taiwanesische Produzent ja ausschließlich auf Offroad-, Quad- oder Mountainbike-Reifen spezialisiert, jetzt will man auch auf der Straße angreifen, wozu die Kooperation mit den KTM-Testfahrern und -technikern willkommene Gelegenheit war. Herausgekommen ist mit dem Supermax ST ein Tourensportreifen, der auch bei forscher Gangart durch Laufruhe und gutes Feedback überzeugte, Grip liefert, bis die Rasten am Asphalt kratzten. Erst nach mehreren schnellen Runden auf der Strecke wurden seine Grenzen ersichtlich, dafür ist der Gummi aber auch nicht gemacht. Regenperformance und Laufleistung wird erst der Alltagsbetrieb ans Tageslicht bringen – beides nicht unwesentliche Parameter dafür, ob er bei Vielfahrern auch als Zweitbereifung wieder auf die Felgen kommt. Obwohl ich vom Maxxis durchaus angetan war und nichts Negatives sagen kann, würde meine Wahl auf einen echten Sportreifen fallen – auch weil ich so gut wie nur bei Schönwetter Duke fahre und dabei ein Maximum an Performance haben möchte. Auch um den Preis geringerer Laufleistung und weniger Komfort auf schlechten Straßen.
Unterm Strich ist die wendige, überaus agile 790 Duke jedenfalls eine Macht auf der Landstraße, die sowohl für Einsteiger gut fahrbar ist (übrigens wird auch eine 95-PS-Variante angeboten, die sich A2-Führerscheinkonform auf 48 PS drosseln lässt), als auch sportliche Reiter voll auf ihre Kosten kommen lässt. Mehr als 105 PS wird man auf kurvenreichen Strecken ohnehin schwer ausreizen können, dazu kommt ein Preis von in Österreich 10.998 Euro, der in Anbetracht des Gebotenen viele Konkurrenten blass werden lässt. Mich hat sie jedenfalls ähnlich begeistert, wie letztes Jahr die Street Triple RS von Triumph, die vergleichbar ausgestattet (allerdings mit den besseren Federelementen und Bremsen) doch um zweieinhalb Tausender teurer ist.
Was mich besonders interessierte, auf Gran Canaria herauszufinden, war jedoch zum einen die Frage, ob ich mir diesen Motor in einer Reiseenduro vorstellen kann und zum anderen, wie sich die 790 im Vergleich mit meiner 690 Duke R schlägt bzw. ob ein Upgrad sinnvoll ist. Der LC8c (das kleine "c" steht für kompakt) ließ die Vorfreude auf die 790 Adventure nur noch weiter steigen, mit etwas weniger PS und dafür etwas mehr Drehmoment versehen, sollte der Reihenzweizylinder auch in der 2019 startenden Reiseenduro ein echter Bringer sein. Die Frage, ob ein Umstieg von der 690 Duke auf die 790 Duke lohnt, wird jeder für sich selbst beantworten müssen. Zumal der LC4, wenn auch lange nicht mit einem ähnlichen breit nutzbaren Drehzahlband ausgestattet, genauso ein süchtig machendes Aggregat ist. Gegenüber der Standard-690er, die ich ebenfalls eine Saison lang gefahren bin, hat die 790 fahrwerksmäßig zugelegt, an die R kommt sie in diesem Punkt allerdings nicht heran. Womöglich ist die kleine Schwester sogar noch einen Tick agiler, aber auch anstrengender, weil durch die Motorcharakteristik des Singles nervöser zu fahren. Welche Duke für wen die "richtige" ist, wird nur der Selbstversuch ans Tageslicht bringen könne, Auswahl gibt es von 125 bis zu 1290 ccm ja mittlerweile genug. Doch Vorsicht vor der Suchtgefahr, die Probefahrt kann rasch zur Unterschrift unter den Kaufvertrag münden! Denn die 790 Duke wird, dafür muss man kein Prophet sein, viele Fans finden.
© 03/2018
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