Eigentlich hätte ich ja bereits letztes Jahr den Test der völlig überarbeiteten 800 XCX von Triumph vereinbart gehabt, die Brezn in der Mongolei mit anschließender Zwangspause ließen das aber ins Wasser fallen. Nachträglich vielleicht gar nicht so schlecht, bekam ich doch nun Anfang Mai 2016 die mit umfangreichstem Zubehör aufgepeppte neue 800 XCA zur Verfügung gestellt. Das übliche "Kennenlernen" fiel diesmal weg, gleich der erste Weg über das Kopfsteinpflaster der Wiener Höhenstraße mit anschließendem Abstecher zur Dopplerhütte konnte getrost im "Sportmodus" absolviert werden – wenn ich bei irgendeinem Motorrad im Schlaf weiß, wie es unter verschiedensten Belastungen bzw. Anforderungen reagiert, dann ist das der kleine Tiger von Triumph…
Doch halt! Da ist ja doch etwas anders. Dieses Blinken im Cockpit, das den Eingriff der Traktionskontrolle anzeigt. Quasi als Arbeitsnachweis der elektronischen Helferlein, die da jetzt auch in den 800er-Modellen Einzug erhielten. Ich habe schon wiederholt meine eher skeptische Meinung über die Notwendigkeit einer Traktionskontrolle bei Motorrädern mit nicht einmal 100 PS geäußert – aber der Markt verlangt es, da kam auch Triumph nicht dran vorbei. Also will ich mich darauf beschränken, deren Funktionalität zu beschreiben und da gibt's nichts zu meckern. Im Stillstand kann (auch bei laufendem Motor) zwischen drei Fahr-Modi gewählt werden: Road, Offroad und eine, von mir favorisierte, frei konfigurierbare Rider-Einstellung, in der ich sportlichste Gasannahme mit der niedrigsten Eingreif-Stufe der Traction Control kombinierte. Auch im Offroad-Modus hat das Hinterrad deutlich mehr Schlupf als in jenem für den Straßenbetrieb, dazu ist das (abschaltbare) ABS am Hinterrad deaktiviert. Letzteres gehört heute ebenfalls mehr oder weniger zum Standard für moderne Motorräder, die regelmäßig abseits befestigter Wege bewegt werden wollen und bewährt sich in der Praxis immer wieder. Weiters lässt sich die mittels "Ride by Wire" gesteuerte Gasannahme mit vier wählbaren Drosselklappen-Kennfelder (Regen, Straße, Sport, Gelände) justieren.
Das vertraute Cockpit ist funktional, neben dem analogen Drehzahlmesser wird die Geschwindigkeit digital angezeigt, die Vielzahl an Informationen im Display lassen sich bequem von der "Schaltzentrale" am linken Lenker aus steuern, einzig für die Wahl des Fahr-Modus muss man noch an die Armaturen fassen und den oberen Knopf dort drücken – aber dafür muss man ja wie schon erwähnt sowieso stehenbleiben.
Prunkstück des Tigers ist freilich auch im aktuellen Jahrgang der Motor, der ursprünglich aus der Street Triple stammt und in den 800er-Modellen 95 PS bzw. 79 Newtonmeter auf den Prüfstand bringt. Das sind jetzt zwar keine Respekt einflößenden Werte, sie reichen aber, um das Motorrad in jeder Lebenslage mit ausreichend Kraft zu versorgen, auch im Sozia-Betrieb. Die einzigartige Charakteristik des Dreizylinders macht ihn perfekt zum schaltfaulen bzw. entspannten Cruisen, ambitioniert hochgedreht zeigt die Raubkatze aber durchaus ihre Krallen und kann so losgelassen im kurvigen Geläuf durchaus dem einen oder anderen Gebückten Schweißperlen unter den Helm treiben. Das Getriebe schaltet seidenweich, der Triple hängt wie von einem Gummiband gezogen am Gas, kommt mir in der neuesten Generation einen Tick ruhiger bzw. kultivierter vor, ohne dabei von seinem Charakter eingebüßt zu haben – und gibt sich an der Tankstelle sparsamer: 5,2 Liter waren es im Test bei durchaus flotter Gangart auf 100 Kilometer, mein 2011er-Tiger genehmigt sich da schon einen guten Schluck in Form von etwa einem halben Liter mehr…
Die Nissin-Bremsen langen ordentlich zu (vorne werken zwei 308-mm-Scheiben, hinten eine 255-mm-Scheibe), aber trotzdem nicht zu bissig für unbefestigte Wege. Dort fühlt man sich mit dem Tiger auch jederzeit entspannt unterwegs, wofür das 21-Zoll-Vorderrad und vor allem die gegenüber den ersten Modellen merklich verbesserten Fahrwerks-Komponenten von WP Performance Systems ihren Teil beitragen. Vorne arbeitet eine voll einstellbare 43-mm-Upside-Down-Gabel mit 220 mm Federweg, hinten beträgt der Federweg 215 mm. Wobei das Federbein nur mit einem (dem Bordwerkzeug beiliegenden) Inbus-Schlüssel zu verstellen ist – das hätte man mit einem Handrad eleganter bzw. bequemer lösen können und ist nicht mehr wirklich zeitgemäß. Serienmäßig kommt die XCA wieder mit jenem Battlewing von Bridgestone daher, der auch schon 2011 Standard war (zwischendurch wurde sie mit dem Scorpion Trail von Pirelli ausgeliefert) – ein guter Allround-Reifen für Vielfahrer, der auch im Nassen seine Qualitäten hat (mehr dazu hier). Wer die Raubkatze allerdings regelmäßig "artgerecht" bewegen will, wird früher oder später an einem "Stoppler" nicht vorbei kommen.
Überhaupt nichts zu meckern gibt es an der umfangreichen Serienausstattung der XCA: Da ist wirklich alles dran bzw. drin, was das Touren angenehm macht und sich andere Hersteller in langen Aufpreislisten teuer bezahlen lassen. Von einstellbaren Brems- und Kupplungshebeln über den Bordcomputer, selbstrückstellende Blinker, Tempomat, Hauptständer, Handprotektoren (gegenüber der ersten Generation verbessert), verstellbarer Windschutzscheibe (wenngleich die 800XC im Helmbereich nie einen wirklich zugfreien Arbeitsplatz haben wird), drei (!) 12-Volt-Steckdosen, Aluminum-Ölwannenschutz, Motorschützbügel, leistungsstärkerer 650W-Lichtmaschine, heizbarer Fahrer- bzw. Soziussitz, Heizgriffe, Navi-Halterung, Nebelscheinwerfer bis hin zu Kofferhalterungen ist alles serienmäßig mit an Bord. An den mustergültigen Fußrasten mit ordentlich Grip für die Cross-Stiefeln und großer Aufstandsfläche fürs Stehendfahren könnten sich andere Anbieter von Reissenduros eine Scheibe abschneiden, nur den peinlichen "Angstnippeln" würde ich gleich vor der ersten Ausfahrt mit der Flex zu Leibe rücken, wenn es mein Moped wäre. Zum einen kratzen die Rasten bei der XC ohnehin recht spät am Asphalt, zum anderen gehört dieses Geräusch einfach dazu, wenns denn passiert…
"Traktionskontrolle? Ride by Wire? Ich hab ja keine Ahnung, was die da alles an der Triumph Tiger 800 XCA gegenüber den ersten Modellen geändert haben, ich kann nur sagen: Ich fühl mich pudelwohl drauf, ob alt oder neu. Bin ja nur einmal bis in die Kalte Kuchl oben gesessen, aber es war so vertraut wie auf den zigtausenden Kilometern, die ich schon mit Wolfs XC, bei jedem nur denkbarem Wetter, mitgefahren bin, oft bis die Fußrasten (seine, nicht meine!) am Asphalt kratzten. Für mich passen Sitzbank und Kniewinkel, auch auf langen Etappen, selbst auf Schotter hält man es hinten aus. Vier Wölfe hat sich unsere Raubkatze absolut verdient."
* Legende
Fazit:
Die Triumph Tiger 800 XC ist auch im sechsten Modelljahr immer noch ein scharfes Gerät, das sowohl auf als auch abseits befestigter Wege viel Spaß macht und genau das kann, was eine moderne Reiseenduro können muss. Wobei in der XCA-Ausführung wirklich alles mit an Bord ist, was nicht ausdrücklich verboten wurde. Daran gemessen und im Vergleich dazu, was anderswo für eine derartige "Luxus"-Ausstattung zu bezahlen ist, kann der Preis von 14.900 Euro (in Österreich) durchaus als fair bezeichnet werden.
Die Unterschiede zur ersten Generation fielen nach der letztjährigen, umfangreichen Modellpflege recht üppig aus, ob sie einem nun als Grund zum Umstieg ausreichen, muss jeder für sich abwägen: Kann man auf die elektronischen Spielereien wie die verschiedenen Fahr-Modi oder eine Traktionskontrolle verzichten, bleiben unterm Strich noch das bessere Fahrwerk (so man nicht wie ich in diesem Punkt ohnehin nachgerüstet hat), der reduzierte Spritverbrauch und das im Offroadbereich durchaus sinnvolle Feature, das ABS nur am Hinterrad zu deaktivieren, während es am Vorderrad in Betrieb bleibt (bis zum Modelljahr 2014 konnte man fürs Gelände das ABS nur komplett ausschalten). Das Grinsen unterm Helm blieb jedenfalls "Serie"!
© 05/2016
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